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Nordermoor

Nordermoor

Titel: Nordermoor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnaldur Indriðason
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Hier muss man sich in jedem individuellen Fall eine Obduktion genehmigen lassen, und manchmal wird eine Organentnahme beantragt, auch wenn das mit dem Todesfall direkt nichts zu tun hat. Das wird entweder abgelehnt oder bewilligt, je nachdem. Meistens handelt es sich um ältere Leute. Niemand stiehlt hier Organe.«
    »Aber so war es nicht immer«, sagte Erlendur.
    »Ich weiß nicht, wie es früher gelaufen ist. Selbstverständlich wurde damals nicht so genau mitverfolgt, was gemacht wurde. Ich weiß es ganz einfach nicht. Ich weiß nicht, warum du über mich schockiert bist. Erinnerst du dich an die Nachricht aus Frankreich? Eine Autofabrik, die menschliche Körper für ihre Unfallsimulationen verwendete, sogar Kinder. Darüber solltest du schockiert sein. Organe werden in der ganzen Welt verkauft und gekauft. Wegen Organen werden Leute sogar umgebracht. Das, was ich gesammelt habe, ist wohl kaum ein Verbrechen.«
    »Aber wozu?«, sagte Erlendur. »Was machst du damit?«
    »Forschen, natürlich«, sagte der Arzt und nahm einen Schluck Sherry. »Unter dem Mikroskop untersuchen. Was machen Sammler denn? Briefmarkensammler untersuchen Poststempel. Büchersammler untersuchen Erscheinungsdaten. Astronomen haben das ganze Universum vor Augen und untersuchen unvorstellbare Größenordnungen. Ich untersuche ständig meine Mikroskopwelt.«
    »Dein Hobby ist dann also die Forschung, und du hast dann wohl auch ein Labor, um die Proben und Organe in deinem Besitz zu untersuchen?«
    »Ja.«
    »Hier im Haus?«
    »Ja. Wenn die Proben gut erhalten sind, kann man sie immer wieder untersuchen. Wenn man neue Informationen über etwas bekommt oder einer speziellen Sache auf den Grund gehen will, dann sind meine Objekte in jeder Hinsicht brauchbar für die Forschung. In jeder Hinsicht.«
    Der Arzt machte eine Pause.
    »Dir geht es um Auður«, sagte er dann.
    »Du kennst sie?«, fragte Erlendur verwundert.
    »Du weißt, dass du vielleicht niemals herausgefunden hättest, woran sie gestorben ist, wenn sie nicht obduziert und das Gehirn entnommen worden wäre. Das weißt du. Sie hat zu lange in der Erde gelegen. Nach mehr als dreißig Jahren in der Erde wäre es nicht möglich gewesen, Untersuchungen am Gehirn vorzunehmen, die etwas gebracht hätten. Auf die Weise ist das, was bei dir solchen Abscheu hervorruft, im Grunde genommen eine Hilfe für dich. Darüber bist du dir hoffentlich im Klaren.«
    Der Arzt überlegte.
    »Du kennst die Geschichte von Ludwig dem Siebzehnten? Er war der Sohn von Ludwig dem Sechzehnten und Marie Antoinette. Wurde während der Französischen Revolution gefangen genommen und im Alter von zehn Jahren hingerichtet.«
    »Wer?«
    »Ludwig der Siebzehnte.«
    »Ludwig?«
    »Es kam vor etwa einem Jahr oder noch etwas früher in den Nachrichten, dass französische Wissenschaftler herausgefunden haben, dass er gestorben und nicht etwa aus dem Gefängnis entkommen ist, wie manche behaupteten. Weißt du, wie sie das herausgefunden haben?«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon du redest«, sagte Erlendur.
    »Seinerzeit wurde sein Herz entfernt und in Formalin eingelegt. Sie konnten DNA-Proben und andere Proben machen und haben herausgefunden, dass angebliche Familienangehörige ihre Verbindungen zum königlichen Geschlecht erlogen hatten. Sie waren überhaupt nicht mit dem Prinzen verwandt. Weißt du, wann dieser Ludwig im zarten Kindesalter gestorben ist?«
    »Nein.«
    »Vor mehr als zweihundert Jahren. Im Jahre 1795. Formalin ist eine ganz besondere Flüssigkeit.«
    Erlendur dachte über die Worte des Arztes nach.
    »Was weißt du über Auður?«
    »Diverses.«
    »Wie kam das Gehirn in deine Hände?«
    »Durch einen Dritten«, sagte der Arzt. »Ich glaube, ich habe keine Lust, das näher zu erörtern.«
    »Aus dem Gläserpalast?«
    »Ja.«
    »Ist der Gläserpalast bei dir gelandet?«
    »Ein Teil davon. Es ist unangebracht, mit mir wie mit einem Deli n quenten zu sprechen.«
    Erlendur dachte über das Gesagte nach.
    »Hast du die Todesursache herausgefunden?«
    Der Arzt schaute Erlendur an und nippte noch einmal am Sherry.
    »Ja, allerdings«, sagte er. »Die Forschung hat mich schon seit jeher mehr fasziniert als die medizinische Versorgung. Mit dieser meiner Sammlerleidenschaft habe ich beides vereinigen können, wenn auch selbstverständlich nur in kleinem Stil.«
    »Im gerichtsmedizinischen Protokoll aus Keflavík steht nur etwas von einem Hirntumor, und das wird nicht näher erklärt.«
    »Ich habe dieses Protokoll

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