Nordmord
bestandenen Examen geschenkt. ›Schließlich bist du nun
eine Akademikerin. Da brauchst du so etwas‹, hatte sie zu ihr gesagt und
lächelnd das hübsch verpackte, handliche Telefon überreicht. Aber die Gebühren
waren hoch und Marlene hatte es schließlich nur behalten, weil Tom sie mehr
oder weniger davon überzeugt hatte, dass es im Notfall einfach praktischer war,
eines bei sich zu haben. Und auch Heike besaß eines, zwar nicht für die Arbeit,
aber da ihre Mutter schwer krank war, wollte sie immer erreichbar sein.
Normalerweise rief sie auch an, wenn sie sich sehr verspätete, doch auf dem
Display war kein Anruf verzeichnet. Sie wählte die Nummer der Freundin, es
meldete sich jedoch nur die Mailbox.
Merkwürdig, dachte sie, ob Heike unsere Verabredung etwa
vergessen hat? Sie hinterließ eine kurze Nachricht.
Weitere 30 Minuten vergingen. Als sich beim zweiten Versuch,
die Freundin telefonisch zu erreichen, wieder nur die Mailbox meldete, stieg
Marlene in ihren Wagen und fuhr nach Hause.
Auf dem Küchentisch lag ein Zettel: ›Bin bei Haie. Wird
sicher spät. Kuss, Tom‹.
»Das war köstlich. Ich muss sagen, Haie, du bist
ein Naturtalent.«
Haie grinste. Seit er sich von seiner Frau getrennt hatte,
war er gezwungen, sich selbst zu versorgen. Das war anfangs nach so vielen
Jahren ehelicher Fürsorge nicht einfach gewesen. Waschen, putzen, kochen – um
alles hatte Elke sich gekümmert. Es war ihm nicht leicht gefallen, sich an die
neue Situation zu gewöhnen. Nur mit Mühe hatte er alles in den Griff bekommen,
vor allem das Kochen war ihm zunächst schwer gefallen. Langsam hatte er jedoch
Spaß daran entwickelt, neue Gerichte auszuprobieren, zu improvisieren, und Tom
hatte recht: Es schien, als sei er ein Naturtalent.
»Na ja, wenn ich da so an meinen ersten Rinderbraten denke.«
Haie schmunzelte.
»Ach, das lag ja wohl eindeutig an mir.«
Tom hatte an dem Abend, als Haie seinen ersten Rinderbraten
zubereitete, angerufen und ihn gebeten, kurz die Bohrmaschine vorbeizubringen.
Selbstverständlich hatte der Freund sich sofort auf den Weg gemacht. Sie
wohnten ja nicht weit entfernt voneinander und der Braten brauchte noch gut 30
Minuten. Als er Tom jedoch umständlich mit dem Bohrer hatte herumhantieren
sehen, hatte er kurzerhand mit angepackt und den Braten völlig vergessen. Als
er nach Hause gekommen war, hatte er vor lauter Rauch in der Küche kaum den
Backofen gefunden. Der Braten war kohlrabenschwarz und ungenießbar gewesen.
»Sag mal, kannst du mir am Wochenende vielleicht beim
Tapezieren helfen? Ich möchte Marlene eine Freude machen und das Schlafzimmer
endlich renovieren. Sie hat sich, glaube ich, immer noch nicht so recht
eingelebt.«
»Ich dachte, es sei besser geworden, seit ihre Freundin auch
in der Nähe wohnt.«
»Schon, aber sie ist manchmal so bedrückt. Ich weiß auch
nicht.«
»Macht doch lieber mal ein paar Tage Urlaub. Würde euch
sicher guttun.«
Haie hatte wahrscheinlich recht. In letzter Zeit hatten sie
wenig Zeit miteinander verbracht. Erst der Umzug, dann Marlenes neuer Job. Er
baute sich gerade einen neuen Kundenstamm auf und jede freie Minute werkelte er
am und im Haus herum. Da blieb wenig Zeit für gemeinsame Unternehmungen. Wie
lange waren sie schon nicht mehr essen gegangen oder hatten einen ausgiebigen
Spaziergang gemacht?
»Hast recht. Wenn ich morgen die Zusage von ›Motorola‹
bekomme, überrasche ich Marlene mit einem Kurztrip nach Amrum. Das bringt uns
sicherlich mehr als neue Tapeten!«
3
Marlene wachte sehr früh auf. Sie hatte schlecht
geschlafen.
Heike hatte sich gestern Abend nicht mehr gemeldet. Und als
sie kurz vor dem Schlafengehen noch einmal versucht hatte, ihre Freundin zu
erreichen, war wieder nur die Mailbox dran gewesen.
Sie stand leise auf. Tom schlief neben ihr noch tief und
fest. Sie wollte ihn nicht aufwecken.
In der Küche fiel ihr erster Blick auf das Display ihres
Handys, welches auf dem Küchentisch lag. Kein Anruf. Keine SMS.
Sie schaltete den Wasserkocher an und setzte sich. Wieder
wählte sie die Nummer ihrer Freundin, wieder nur die Ansage. Langsam wurde sie
unruhig. Wo war Heike? Wieso meldete sie sich nicht?
Sie brühte sich einen Tee auf und ging in das kleine Zimmer
neben der Küche. Tom hatte es ihr als Büro eingerichtet. Ein Schreibtisch, ein
paar Regale, jede Menge Bücher. Hier fühlte sie sich wohl. Das war ihr Reich.
Mit nur wenigen und einfachen Mitteln
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