Nordseefluch: Kriminalroman
Situation gebracht hatten. Manfred Kuhnert lebte mit depressiven Phasen. Der Alkohol eröffnete ihm Einblicke in sich selbst, die er fälschlicherweise als belastend und tiefgründig empfand. Er tötete vielleicht im Liebe-Hass-Konflikt.«
Der Kommissar blickte auf.
»Das Gutachten geht noch weiter, doch es folgen keine für unser Gespräch wichtigen Feststellungen mehr«, sagte er und legte die Akte ab.
Er schaute mich erwartungsvoll an.
Heiko Ekinger schwieg. Ich sah, wie er eine Zigarette nahm, die zwischen seinen dicken Fingern winzig wirkte.
»Der Professor durchleuchtete Manfred Kuhnert und seine Ergebnisse laufen darauf hinaus, dass Manfred Kuhnert zum Tatzeitpunkt schuldunfähig war«, bemerkte ich.
»Das Gutachten erhärtet die Unterlagen der Oberschwester Ursula. Manfreds Mutter hatte einen Schwangerschaftsabbruch unternommen«, sagte der Kommissar. »Aber, Herr Färber, da gibt es noch Widersprüche in unseren Akten. Es steht fest, dass Ihr Sohn diesen Haarclip in den Dünen am Tatort des Kutschermords gefunden hat. Das gerichtsmedizinische Institut lässt keine Zweifel offen, dass er dem Mädchen Marion gehört hat. So verhält es sich auch mit dem dazugehörigen zweiten Teil des Clips, den wir vor den Leergutkästen des See-Shops gefunden haben. Außerdem ließen sich sowohl bei Manfred, dem Mörder, als auch bei seinem jungen Opfer Sandspuren der Dünen nachweisen.«
Ich benötigte eine Menge Konzentration, um in den Aussagen des Kommissars einen Sinn oder Widersinn zu finden. Nachdenklich blickte ich auf den Fuß der Stehlampe, folgte den geschwungenen und geflochtenen Eisensträngen und vermutete plötzlich, dass es sich bei den Mordfällen genauso verhielt.
»Herr Kommissar, vielleicht sind der Mädchen- und der Kutschermord miteinander verbunden«, sagte ich nachdenklich.
Ich goss Bier in mein leeres Glas und nahm einen tüchtigen Schluck.
»Es würde mich schon interessieren, wie Sie das meinen, Herr Färber«, sagte der Kommissar. Er rauchte und wartete auf meine Stellungnahme.
»Das Mädchen wurde nicht auf dem Gelände des See-Shops umgebracht«, sagte ich schließlich.
Der Kommissar sah mich aufmunternd an. Sein Schnurrbart schien sich zu bewegen.
»Weiter«, forderte er mich auf.
»Irgendjemand hat das tote Mädchen zum See-Shop transportiert. Der Mord geschah in den Dünen, und zwar dort, wo auch der Kutscher seinen Tod fand«, stellte ich spontan fest.
»Das entspricht genau unserer Theorie«, sagte Pietsch. Er stand auf und verließ das Zimmer, um neue Bierflaschen zu holen.
»Ganz schön verworren«, meinte Ekinger.
Ich nickte, vernahm das Klirren der Flaschen und beobachtete den Kommissar, der ruhig und ausgeglichen die Bierflaschen auf den Tisch stellte, sie öffnete und uns die Gläser füllte.
Für mich stand fest, dass Manfred Kuhnert die Kleine umgebracht hatte. Was mich irritierte an Manfred, das war der Zwiespalt zwischen seinem Wollen und Handeln, denn diese Erkenntnis hatte mir das Gutachten geliefert.
Hatte er sich durch den Mord an Marion aus seiner Seelennot befreien wollen? War seinem vorhandenen Intellekt im Nachhinein sein schändliches Tun bewusst geworden? Mein Blick folgte den Rauchschwaden der Zigaretten.
»Manfred kann die Tote zum See-Shop gebracht haben. Vielleicht wollte er der im Zwiespalt Ermordeten noch ein Eis spendieren«, sagte ich.
Pietsch schaute mich an.
»Eine plausible Begründung. Aber, Herr Färber, tragen Sie einmal eine Mädchenleiche von den Dünen zum See-Shop. Dabei denke ich weniger an die körperliche Anstrengung, sondern mehr an die belebten Straßen. Und was Sie nicht wissen, die Obduktion der Leiche ergab, dass nur wenig Zeit nach dem Mord vergangen war, als Sie und Ihre Verwandten sie entdeckten.«
»Fest steht, dass Marion tot war, als sie auf dem Hof des See-Shops abgelegt wurde. Nur, wie kam sie dahin?«, fragte Ekinger.
Auch ich dachte angestrengt nach.
»Auf der Insel gibt es neben dem Fahrrad nur noch die Kutsche als Transportmittel«, sagte ich.
»Sicher, aber wie hätte Manfred das bewerkstelligen können?«, fragte der Kommissar.
»Welcher Kutscher transportiert einen Mörder mit einer Kinderleiche als Gepäck?«, fragte Ekinger.
»Was sagen die Unterlagen über den Zeitpunkt des zweiten Mordes aus?«, fragte ich.
Ohne in die Akten zu schauen, antwortete der Kommissar, als hätte er meine Frage erwartet: »Einundzwanzig Uhr mit den üblichen Abweichungen von zwanzig Minuten.«
»Einen Moment, Herr
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