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Nordseefluch: Kriminalroman

Nordseefluch: Kriminalroman

Titel: Nordseefluch: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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und resoluter Stimme schob die Glasscheibe zur Seite.
    »Bitteschön?«
    Ich legte das Schreiben des Staatsanwalts vor.
    »Gehen Sie im Korridor rechts an meinem Büro vorbei. Dort befindet sich das Wartezimmer.«
    Der Summton war das Zeichen. Die Panzerglastüren teilten sich. Ich fand Einlass. Ein langer, blinkender Flur mit viel Weiß, der sich endlos vor mir wie eine Falle auftat, stimmte mich missmutig, ja fast depressiv.
    Eine Krankenschwester, breit und grobknochig, kam mir mit hallenden Schritten entgegen. Ihre weiße Tracht wirkte auf mich bedrohlich.
    Ich mag keine Krankenhäuser, deshalb drückte ich mich hastig seitlich an die Wand und fand die Tür zum Wartezimmer. Wie ein Fliehender betrat ich das Zimmer.
    Eine junge Frau blickte mich erschrocken mit großen Augen an. Sie trug ihr Haar im Pagenschnitt. Wie ein Schulmädchen hatte sie die Hände in ihrem Schoß ineinander verschränkt. Ihre strammen Schenkel strafften einen viel zu engen Rock.
    »Entschuldigung«, sagte ich und setzte mich auf einen der freien Stühle, die an den Wänden standen. Ich warf einen Blick auf den gekreuzigten Heiland, der mit geneigtem Haupt voller Schmerzen auf die Dame herabzuschauen schien, die schweigend unter ihm saß.
    Es fehlten Illustrierte. An den Wänden hingen außer dem geschnitzten Jesus nur fromme Sprüche in dunklen Rahmen. Ich ging zum Fenster, schaute durch die Scheiben, vor denen dicke Eisenstäbe ein Gitter bildeten, in die Parklandschaft. Mein Blick fand die Mauer, deren Außenseite ich passiert hatte. Zusammengeballte Grüngewächse bedeckten sie fast ganz.
    Vor den Bänken und Blumenbeeten hielten sich Menschen auf, die sich wie Schauspieler an Rollen zu probieren schienen. Von ihnen hoben sich kräftige Gestalten ab, die weiße Kittel trugen. Der Himmel blieb grau.
    Ich hörte, wie die Tür geöffnet wurde.
    »Sie sind Herr Färber?«
    Ich drehte mich um und blickte in das junge, hübsche Gesicht einer Nonne. Selbstbewusst richtete sie ihre Augen auf mich. Ihr Blick war kalt und abweisend, als sie bemerkte, wie ich ihren Körper betrachtete. Sie hatte mit einer geflochtenen Kordel ihr Gewand eng um die Hüften geschnürt.
    »Ich führe Sie zu Ihrem Schüler«, sagte sie und behandelte mich wie ein Neutrum.
    Ich folgte ihr, und meine Achtung vor Menschen, die sich von der Welt absagten, um im Dienen Gottes Nähe zu suchen, verbot mir, Fragen an sie zu stellen.
    Die fein geflochtene Kordel, die ihre Taille umspannte, war nicht aus dem Material, aus dem man Kälberstricke fertigte. So dachte ich, als ich mit ihr den Weg an einem Muttergottesbild vorbei nahm. Ich sah die brennenden Kerzen. Mir zuckte es in den Händen, denn gerne hätte ich mich Maria anvertraut, um Klarheit im Mordgeschehen zu finden, für das Wohl meiner Familie und für den mutmaßlichen Mörder Manfred Kuhnert um Vergebung zu bitten.
    An den Wänden hingen weise Sprüche in Rahmen.
    Die Schwester zog ein Schlüsselbund hervor, öffnete eine gesicherte Tür, verschloss sie hinter uns, und der Gang fand endlich ein Ende. »Besucherzimmer« las ich.
    Die Schwester verschwand, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen. Ich sah ihr nach. Der Rock wippte um ihren schlanken Leib.
    Ich öffnete die Tür. In den Raum fiel das Licht aus einem Fenster. Dicke Eisengitter schufen ein Schachbrettmuster. Kleine Tische, Stühle, selbst einen Aschenbecher machte ich aus.
    Ich blickte durch die Quadrate der Gitter in den Park, den ich schon kannte.
    Die Tür ging auf, ich drehte mich um.
    Manfred Kuhnert stand vor mir.
    Er reichte mir die Hand. Ich spürte den heftigen Druck an meiner Hand. Sein Gesicht war blass. Der schüttere blonde Bart verstärkte die Falten, die seine Sorgen und sein Kummer hinterlassen hatten.
    »Manfred«, sagte ich und ließ seine Hand frei.
    Mitleid und Abscheu kämpften in mir.
    Im Türrahmen stand der Pfleger, ein Prachtexemplar an Kraft, Zuverlässigkeit und Aufopferung. Er musste nicht an das junge Mädchen denken und sich fragen, ob es noch leben würde, wenn es Verbrecher, wie Manfred einer war, nicht geben würde. Nur da sein musste er, falls Manfred auf mich losgehen würde. Aber das tat Manfred nicht. Ganz im Gegenteil. Er heulte.
    Seine Tränen machten mich weich.
    Tränen hatte es aber auch auf der anderen Seite gegeben, am Grab eines hübschen Mädchens, das mit zum Pferdeschwanz gebundenen goldblonden Haaren ihren Mörder herausgefordert hatte, der als erwachsener Mann seinen bestialischen Trieb an dem werdenden,

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