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Nordseefluch: Kriminalroman

Nordseefluch: Kriminalroman

Titel: Nordseefluch: Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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wachsenden Wesen zu befriedigen versucht hatte.
    Manfred setzte sich schlotternd auf einen Stuhl. Er legte die Hände um sein schmales Gesicht und hob den Blick.
    »Herr Färber, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie zu mir gekommen sind. Keiner glaubt mir! Noch schlimmer, ich kann mich nicht mehr erinnern und weiß nicht, ob ich zum Mörder geworden bin, wie alle behaupten.«
    Er schluchzte.
    Das ging mir unter die Haut. Schlagartig war ich nass geschwitzt. Der Krankenpfleger rückte einen Stuhl in die Nähe der Tür. Aufmerksam, aber mit leerem Blick beobachtete er uns.
    … ob ich zum Mörder geworden bin – hatte Manfred gesagt.
    Er suchte meinen Blick. Ich wich ihm aus. Pietsch, Ekinger und auch der Staatsanwalt gingen davon aus. Er stand sogar unter dem Verdacht, ein Doppelmörder zu sein.
    Will er hier nur eine Schau abziehen? Ablenken?, dachte ich.
    »Manfred, der Alkohol«, sagte ich vorwurfsvoll und schwankte zwischen der Entscheidung, ihm mitfühlend meine Hand auf die Schulter zu legen oder mich in kalter Distanz an den Fakten zu orientieren. Ich blickte in sein verheultes Gesicht.
    »Herr Färber, an dem Abend, an dem alles passiert ist, wollte ich Sie suchen. Sie waren auf Juist. Meine Bude kotzte mich an. Ich fühlte mich sehr einsam.«
    Manfred unterbrach seinen begonnenen Bericht.
    Der Wärter reichte ihm ein Taschentuch. Ich sah, wie Rotz und Tränen in das weiche Papier eindrangen.
    Dann fuhr Manfred fort: »Das Mädchen kaufte öfter Eis bei mir. Sie sah so schön aus. Ich wurde ihr Freund und unterhielt mich öfter mit ihr. Ich war glücklich, wenn ich sie um mich hatte. An dem Abend bin ich losgegangen. Sie war nicht am Strandkorb. Ich hatte sie am Vortag von einer Düne aus beobachtet, wie sie im Strandkorb saß und Musik hörte. Sie wissen, dass ich gelegentlich Alkohol trinke, aber Sie haben keine Vorstellung von dem Gefühl der Einsamkeit, das mich hin und wieder überfällt. Herr Färber, niemanden zu haben, keinem zu gehören! Wenn ich trank, dann erfüllte mich wohltuende Zufriedenheit. Und dann war es Marion, die mir half, meine Einsamkeit zu überwinden. Alles drängte mich zu ihr. Ich erzählte ihr von der Insel, von den Vögeln, von Ebbe und Flut.«
    Manfred kamen erneut die Tränen. Jetzt musste ich reden. Die Zweifel anbringen.
    »Manfred, findest du es nicht seltsam, dass du dich als Erwachsener mit einer Zwölfjährigen abgibst? Wir fanden ihren MP3-Player und ihre Plüschhandtasche bei dir. Das Mädchen war tot! Erinnere dich!« Ich musste mich überwinden, als ich fortfuhr: »Hast du sie umgebracht?«
    Mein Schüler gab keine Antwort. Gefühlsausbrüche schüttelten ihn. Plötzlich sprang er auf. Ich fühlte seine knochige Hand auf meinen Rippen. Ich sah in seine aufgerissenen Augen, als er den Mund öffnete und schrie: »Marion lag da, nackt und tot!«
    Der Wärter war aufgesprungen. Das war überflüssig, denn Manfred setzte sich wieder und sackte auf dem Stuhl zu einem Häufchen Elend zusammen.
    Hatte ich jetzt bereits die Erwartungen erfüllt, die der Staatsanwalt und der Professor in mich gesetzt hatten?, fragte ich mich. Und noch stand der Mord an dem Kutscher im Raum.
    Manfred weinte in sich hinein. War es Verzweiflung, Reue oder Schau, die seine Tränen trieben? Ich wollte ihn rücksichtslos fordern.
    »Manfred, da war auch ein Kutscher. Hast du ihn umgebracht?«, fragte ich.
    Er zuckte zusammen und blickte mit starren Augen auf.
    »Kutsche«, hauchte er und versank in Schweigen.
    Ich wartete geduldig, erhob mich, trat ans Fenster und schaute den Menschen zu, die dort apathisch, als triebe ein Motor ihre Bewegungen an, an den Sommerblumen entlangschlenderten.
    Arme Schweine, dachte ich und wusste nicht, ob nicht auch mein Schüler zu denen zählte, die die Kontrolle über ihren Verstand verloren hatten und unerklärlicher Fremdbestimmung zum Opfer gefallen waren.
    »Was ist mit der Kutsche?«, fragte ich Manfred.
    Er schaute mich mit leeren Augen an.
    »Ja, die Kutsche. Ich war betrunken. Marion, die Arme, war tot! Ich hatte noch einen Flachmann mit. Ich weiß nichts mehr. Es fällt mir nichts mehr ein. Aber an eine Kutsche erinnere ich mich.«
    »Manfred, denk nach«, forderte ich ihn auf.
    Mein Schüler schluchzte: »Herr Färber, glauben Sie mir doch! Marion muss tot gewesen sein! Was vorher geschah, das weiß ich nicht mehr. Ich bin zu meiner Bude zurückgegangen.«
    Mir wurde bewusst, dass ich ohne Hilfe des Psychiaters nicht weiter vorstoßen konnte. Als Manfred merkte,

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