Nordseefluch: Kriminalroman
dass ich mich entschlossen hatte, ihn zu verlassen, sprang er auf.
Seine Augen verrieten seine Verzweiflung.
»Herr Färber, sagen Sie denen, dass es die Wahrheit ist! Marion war tot, als ich sie fand. Sie lag nackt in den Dünen! Ich kann es nicht gewesen sein.«
Ich rang mit mir und fühlte die Angst des Jungen. Heuchlerisch sagte ich: »Manfred, ich werde sehen, was ich für dich tun kann.«
Er klammerte sich an mich.
»Ich muss hier raus, Herr Färber! Ich werde sonst verrückt!«, schrie er.
Der Wärter näherte sich. Er nahm Manfred an die Hand und führte ihn aus dem Zimmer.
Die Nonne wartete bereits vor der Tür. Sie begleitete mich zur Sicherheitstür.
Mit gemischten Gefühlen verließ ich das Gebäude und suchte den Parkplatz auf. Es war entwürdigend gewesen, wie Manfred versucht hatte, mich von seiner Unschuld zu überzeugen. An Manfred störte mich die weinerliche Duckhaltung. Ich vermisste sein entschiedenes »Nein«. Hielt Manfred sich selbst für den möglichen Mörder? Wie sollte ich ihm da helfen können?
Hinzu kam seine Aussage, dass er sich mit dem Mädchen unterhalten wollte. Aber Manfred war ein Sonderfall, das hatte Oberschwester Ursula den Kripobeamten klarzumachen versucht.
Aufgewühlt und enttäuscht setzte ich mich hinter das Steuer und verließ das St. Alexius Hospital .
Während der Rückfahrt bemühte ich mich vergeblich um eine feste Meinung für den Bericht an den Staatsanwalt.
Als ich den Wagen auf meiner Auffahrt abgestellt hatte und das Haus betrat, stand der Tee frisch aufgebrüht auf dem Tisch.
Die gemeinsame Teepause im Kreis meiner Familie tat mir gut. Weder die Söhne noch meine Frau stellten neugierige Fragen. Sie ließen mir Zeit, den notwendigen Abstand zu finden.
Nach der Teepause rief ich den Staatsanwalt an. Er bat mich, in dem Bericht besonders auf die seelische Situation des Schülers und auf seine Versuche, mich zu überzeugen, einzugehen. Zusätzlich empfahl Buschmann mir, das Gespräch mit dem Kommissar zu suchen.
Ohne Erfolg versuchte ich anschließend Pietsch im Polizeigebäude zu erreichen. Schließlich wählte ich seine Privatnummer.
»Ich war in Bremen im St. Alexius Hospital und habe Manfred Kuhnert besucht, Herr Kommissar«, sagte ich. »Staatsanwalt Buschmann schlägt vor, dass wir uns über die Ergebnisse unterhalten.«
»Sie machen mich neugierig, Herr Färber. Deshalb sollten wir den Termin nicht zu weit hinausschieben«, sagte er.
»Besuchen Sie mich heute Abend, Herr Pietsch. Sagen wir um zwanzig Uhr«, schlug ich vor.
»Abgemacht, ich werde Heiko Ekinger bitten, mitzukommen«, antwortete er.
10
Meine Frau hatte für uns in meinem Arbeitszimmer den Tee hergerichtet. Der große Schreibtisch bot genügend Platz. Wir konnten durch das Fenster über die Terrasse in den Garten und auf die blühenden Sommerblumen, die weißen Stämme der Birken und die knorrigen Eichen blicken. Das übliche Teegebäck lag aus.
Während sich die Beamten bedienten, berichtete ich über meinen Besuch im St. Alexius Hospital.
Wir rauchten eine Zigarette und bemühten uns, Manfreds Aussagen zu analysieren.
»Der Besuch hat Sie sehr mitgenommen, Herr Färber«, stellte der Kommissar fest.
Ich nickte.
»Manfred ist einerseits eine Bestie, Herr Pietsch, andererseits kann er selbst als ein Opfer angesehen werden. Der Alkohol hat ihn in seine missliche Lage gebracht.«
»Und die Gründe für den unverantwortlichen Alkoholkonsum füllen die Spalten des Gutachtens des Professors«, antwortete der Kommissar.
»Das für unsere Arbeit Wesentliche Ihres Berichtes, Herr Färber, ist die Tatsache, dass Manfred Kuhnert nur von der Kutsche sprach und den Kutscher selbst nicht erwähnt hat«, sagte Ekinger.
»Manfred hat sich mit dem Mädchen Marion gelegentlich unterhalten«, sagte der Kommissar. »Er gibt unumwunden zu, dass er es am besagten Abend regelrecht gesucht hat. Er beruft sich auf einen Gedächtnisausfall. Sein Alkoholgenuss dient ihm als Entschuldigung. Die nackte Kinderleiche schockte ihn in die Wirklichkeit zurück. Mit benebeltem Verstand nimmt er die Kutsche wahr. Er trägt das Opfer zur Kutsche und fährt zum See-Shop. Danach verfällt er erneut in einen Gedächtnisschwund. Er kämpft sich total betrunken zu seiner Bude durch. So weit die verwertbaren Tatsachen.«
»Und wo ließ er die Kleidung des Mädchens?«, fragte Ekinger.
»Auf diese Frage können wir keine Antwort finden. Auch die Frage, wie er an die Kutsche gekommen sein kann, bleibt im
Weitere Kostenlose Bücher