Nordseefluch: Kriminalroman
die großen Gemälde bekannter und unbekannter Meister, die erlesenen Perserteppiche lenkten ab vom suchenden Seeblick.
»Schicken Sie meinen Kollegen Ekinger zu uns. Er kommt später. Und fragen Sie die Eltern diskret, wann wir sie sprechen können. Das Letztere hat viel Zeit«, sagte Pietsch. »Meine Dame, meine Herren, nehmen Sie bitte Platz.«
Er griff nach dem Telefon, das auf einer antiken Anrichte neben einem Korb mit Südfrüchten stand.
Der Kommissar sprach mit der Einsatzleitung der Wasserschutzpolizei. Ich hörte, wie er sagte: »Das wäre auch ein Zufall gewesen.«
Sein zweites Gespräch führte er mit der Polizeistation in Norden. Mir gelang es nicht, mich voll zu konzentrieren, da sich mein Vetter und Evi halblaut unterhielten. Sie wirkten beide müde und niedergeschlagen.
Ich hörte, wie der Kommissar sagte: »Benachrichtigen Sie den Staatsanwalt. Der Hubschrauber wird die Kleine zur gerichtsmedizinischen Untersuchung ins Krankenhaus fliegen.«
Pietsch blieb einen Moment still stehen. Er schob die Enden seines gewaltigen Schnurrbarts hoch, griff in die Tasche und wandte sich uns zu.
»Rauchen Sie?«, fragte er.
Ich nahm eine Zigarette an, während mein Vetter seine dicken Zigarren in seiner Jackentasche ließ.
»Ich würde Ihnen gern etwas zu trinken anbieten. Aber die Zeit! Herr Färber, Sie sind Lehrer und kennen Manfred Kuhnert? Wären Sie bereit, uns zu ihm zu begleiten, um als ausgebildeter Pädagoge Zeuge unserer notwendigen Recherchen zu sein?«
Ich zuckte leicht zusammen und spürte die Blicke meiner Verwandten auf mich gerichtet. Das war konsequent, dachte ich, und mir tat es leid, dass ich mich so vorlaut in das Geschehen gedrängt hatte.
»Verstehen Sie mich recht«, antwortete ich zwischen zwei hastigen Zügen an der Zigarette. »Der Schüler würde in mir eher einen Anwalt sehen und ich käme mir schäbig vor, ihm den Mord Auge in Auge vorzuwerfen.« Ich spürte, während ich sprach, dass mir das Blut in den Kopf stieg.
»So weit wollen wir es nicht kommen lassen«, antwortete der Kommissar, der mehr von Menschen zu verstehen schien als ich. »Ihre Aufgabe besteht darin, uns in ein Gespräch mit Manfred Kuhnert zu verwickeln. Es ist uns recht, wenn Sie selbst wie ein Anwalt in eine bestimmte Richtung vorgehen. Vorausgesetzt, wir treffen ihn an. Ansonsten starten wir eine weitere Suchaktion.«
Ich nickte.
Die Tür ging auf.
»Mein Kollege Heiko Ekinger«, sagte Pietsch.
Der bullige junge Mann blickte treuherzig und freundlich in die Runde.
»Die Kleine ist auf dem Weg hinüber«, sagte er und setzte sich behäbig auf einen Stuhl.
Kommissar Pietsch wandte sich an mich. »Wo wohnt Manfred Kuhnert?«, fragte er.
»Das weiß ich nicht. Rufen Sie Oberschwester Ursula an. Sie leitet das Nikolausstift in Hage. Es ist telefonisch unter Norden zu erreichen.«
»Kennen Sie die Nummer?«
Ich verneinte, sagte aber: »Lassen Sie mich anrufen. Sie würde es nicht verkraften, wenn die Kripo in ihre heile Welt eindringen würde.«
Der Kommissar meldete das Gespräch an. Ich betrachtete ein Stillleben mit einer Obstschale, erkannte die Feinheit der Pinselführung und fand selbst die winzigen roten Apfelbäckchen hinreißend echt, als das Klingeln mich aufscheuchte.
Sie war es. Oberschwester Ursula.
»Hier Lehrer Färber! Es handelt sich um Manfred Kuhnert … Nein, Schwester, ich bin auf der Insel Juist und will ihn besuchen … Sicherlich, für Schwestern ist es zu spät, aber nicht für Männer, nach einem herrlichen Sonnentag. Ich notiere: Reusenweg 18 a, Anbau! Danke!«
Ich vergaß den Maler und seine Äpfel, hätte am liebsten ein Bad in der Nordsee genommen, denn ich spürte den Schweiß, der nicht nur mein Gesicht zu bedecken begann.
»Herr Wernig und Fräulein …?«, fragte der Kommissar.
»Thelen, Evi Thelen«, sagte Hannes’ Verlobte.
»Ach ja, wir sehen uns morgen noch, oder reisen Sie ab?«
Mein Vetter Hannes antwortete: »Wir bleiben noch hier. Unsere Verlobung wird noch einmal gefeiert.«
»Hannes, sag meiner Frau Bescheid«, sagte ich, »denn sie wartet auf mich.«
Als mein Vetter Evi an die Hand nahm, flüsterte er mir zu: »Und wenn es Morgen wird, warte ich auf dich in der Bar!«
»Rufen Sie Fisser, den Inselsheriff, an«, sagte Pietsch zu seinem Assistenten.
Wir verließen das Konferenzzimmer.
Unser Weg führte über die Dünenpromenade. Ich atmete die würzige Seeluft tief ein. Die Dunkelheit lag über den Dünen. Fernab am Horizont hatten sich Wolken
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