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Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Nordwind: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Nordwind: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Håkan Östlundh
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hatte Malin die Tür nicht abgeschlossen?
    »Ellen«, schrie er.
    Niemand antwortete.
    »Ellen!«

43
     
    Auf Fredriks Display leuchtete Görans Name. Es war 20.11 Uhr. Schon allein die Uhrzeit deutete an, dass es um etwas Ernstes ging. Der Tonfall gab ihm recht.
    »Da oben auf Fårö scheint etwas Schlimmes passiert zu sein.«
    »In Kalbjerga?«, fragte Fredrik, obwohl er die Antwort bereits kannte.
    »Ja. Malin Andersson und eines der beiden Kinder sind schwer verletzt, vielleicht sogar tot. Zwei Personen werden vermisst.«
    »Henrik Kjellander und das andere Kind?«
    »Nein. Er hat sie gefunden. Die Tochter wird vermisst. Und Malins Schwester.«
    Einen Moment lang war es still zwischen ihnen. Die Worte, die in der Luft hingen, wurden nicht ausgesprochen, standen aber plötzlich deutlich sichtbar im Raum. Zumindest für Fredrik.
    Sie hätten es vorhersehen müssen. Wenn sie ihre Arbeit besser gemacht hätten, wäre es vielleicht zu verhindern gewesen …
    »Melde dich, wenn du in Visby losfährst, damit wir die Überfahrt koordinieren können«, sagte Göran.
    Das Gespräch wurde unterbrochen.
    Görans Stimme hatte bedrückt geklungen. In solchen Situationen blieb er immer kühl und sachlich, aber diesmal hörte man doch etwas anderes heraus.
    Fredrik verschloss die Augen vor dem Bild von Malin und dem kleinen Axel, das auf seiner Netzhaut aufgetaucht war. Es verschwand, aber nur um dem Familienfoto mit den ausgestochenen Augen zu weichen. Es war, als ob da in seinem Kopf ein altmodischer Diaprojektor eingeschaltet worden wäre. Er ging ins Wohnzimmer und teilte Ninni mit, dass er wegfahren müsse.
    »Der Familie da oben auf Fårö scheint etwas zugestoßen zu sein«, sagte er vage.
    »Die Leute mit dem Mädchen, das von der Schule verschwunden ist?«
    »Ja.«
    »Puh.« Sie sah ihn an.
    Zum Glück sagte keiner, dass ein überraschender Einsatz am späten Abend eine Überforderung für ihn darstellen könnte. Weder Göran noch Ninni.
    »Sei vorsichtig«, bat sie.
    Er zog Schuhe und Jacke an und eilte zum Auto. Während er vom Hof fuhr, blickte er hoch zu Simons Zimmer, wo das Licht über dem Schreibtisch brannte. Er sah ihn vor sich, allein vor dem Computer sitzend. Dann dachte er an Joakim, weit weg in Stockholm. Was machte er gerade? War er mit seiner Freundin zu Hause? Saß er in irgendeiner Kneipe oder in der U-Bahn? Fredrik hatte keine Ahnung.
    Dann schob er alle Gedanken an die eigene Familie beiseite, verstaute sie sicher und machte die Schotten dicht. Er versuchte sich auf das Kommende einzustellen. Schwer verletzt. Vielleicht sogar tot.

44
     
    Henrik folgte den Anweisungen der Krankenschwester. Er erinnerte sich vage an einen Erste-Hilfe-Kurs vor langer Zeit. Jedes Mal, wenn er blies, hob sich der kleine Brustkorb zaghaft. Er traute sich nicht, zu fest zu drücken. Dann Malin. Er pustete und pustete.
    »Ellen!«
    Zwischen den Wiederbelebungsversuchen schrie er sich heiser.
    Und dann, wie durch ein Wunder, hörte er Stimmen dort draußen. Schritte.
    »Ellen!«
    »Papa«, kam es aus der Ferne.
    Ellen. Sie lebte.
    »Es ist alles in Ordnung, Henrik. Wir sind hier draußen.«
    Diesmal Maria. Henrik sprang auf und raste zur Tür, die noch offen stand. Sie waren nur noch wenige Schritte von der Treppe entfernt.
    »Wartet! Wartet hier draußen«, brüllte er unkontrolliert, obwohl er sich gerade noch gesagt hatte, dass er ruhig und gefasst auftreten musste, um sie nicht zu erschrecken.
    Maria und Ellen blieben abrupt stehen und starrten ihn mit flatternden Bademänteln an.
    »Es ist … es ist …«, stammelte er, aber er wusste nicht, wie er es erklären sollte.
    Einen Moment lang überlegte er, ob er etwas auf Englisch sagen sollte, aber schon im nächsten Augenblick schien ihm der Gedanke vollkommen absurd.
    Maria hatte die Augen weit aufgerissen. Entsetzen und Zweifel hatten ihre bleichen Züge in ein Gesicht verwandelt, das er noch nie gesehen hatte.
    Henrik blickte sie entschieden an.
    »Bleib mit Ellen hier.«
    Es gelang ihm sogar, seine Stimme einigermaßen normal klingen zu lassen.
    »Ihr müsst draußen bleiben.«
    Er machte kehrt und raste in einem seltsamen Freudentaumel zurück ins Haus. Ellen. Sie lebte und war unverletzt. Im Eingang ein hastiger Blick in den Spiegel. Er war über und über mit Blut beschmiert. Die Hände, das Hemd, das Gesicht. Auch an seinem Mund klebte dunkelrotes Blut. Er spürte Marias Blicke im Rücken, als könnten sie die Wände durchbohren. Sie musste glauben, er wäre

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