Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
Markt. Tief im Innern war Henrik sich sicher, dass alles gut werden würde. Dass es im Moment nicht gut lief, war vor allem Pech. Natürlich kam ihm hin und wieder der Gedanke, dass sie sich vielleicht nicht so viel auf einmal hätten vornehmen sollen. Der Umbau, die Renovierung, die neuen Blitzapparaturen im Studio, der teure Zweitwagen und was sonst noch alles hinzukam. Auf der anderen Seite war es wichtig, ein wenig zu protzen. In seiner Branche gehörte das dazu. Erfolge erzeugten Erfolge. Den Ball flach zu halten brachte gar nichts.
Manchmal dachte er wehmütig an die Jahre nach der Fotohochschule und vor der Geburt von Ellen zurück. Es war nicht direkt so, dass er sich diese Zeit zurückwünschte, aber er sehnte sich nach der Unbeschwertheit. In diesen Jahren war er ständig zwischen Stockholm, Los Angeles und einem halben Dutzend anderer Großstädte unterwegs gewesen und wusste nie, wo er unterkommen würde. Es war ihm auch egal. Irgendetwas fand sich immer. Auch wenn das meiste Geld für die Unkosten draufging, verdiente er doch ansehnliche Summen. Er fühlte sich unsterblich in diesen Jahren. Er war jung, gesund und erfolgreich; und so würde es bis in alle Ewigkeit bleiben. Selbstverständlich eine Illusion, aber ein schönes Lebensgefühl. Wenn der Alltag ihm zu trist wurde, versank er in seinen Erinnerungen an diese Zeit, als würde er meditieren, und kehrte gestärkt von einer kräftigen Prise sorgenfreiem Hedonismus in die Wirklichkeit zurück.
Henrik war in Fårösund angekommen und rollte hinunter zum Anleger. Bis zur Fähre um halb acht war es noch fast eine Viertelstunde. Ganz vorn an der Haltelinie blieb er stehen und schaltete den Motor aus. Er löste den Gurt, streckte sich und gähnte herzhaft.
Gegen seinen Willen kam ihm Stina Hansson in den Sinn. Er versuchte sie aus seinen Gedanken zu verscheuchen, aber je mehr er sich bemühte, desto hartnäckiger wurde sie. Er konnte nicht nachvollziehen, wieso Malin so eifersüchtig auf sie war. Na gut, die Fotos, aber das war doch eine Ewigkeit her. Ein paarmal hatte er sie zufällig in Fårösund getroffen, aber das war einfach nur seltsam gewesen. Irgendetwas an ihr war so … dass er Widerwillen empfand.
Er konnte sich nicht erinnern, wie es zu diesen Aufnahmen gekommen war. Hatte er Stina gedrängt, nackt für ihn zu posieren, oder hatte sie von sich aus das T-Shirt hochgeschoben?
Zwischen Broa und Kalbjerga kam Henrik kein einziges Auto entgegen. Er war ganz allein mit der zunehmenden Dunkelheit und der Straße, die nur noch im Licht seiner Autoscheinwerfer zu sehen war. Hin und wieder leuchteten am Straßenrand gelbe Schilder mit merkwürdigen Ortsnamen auf. Kopfschüttelnd stellte er sich selbst die Frage, was er eigentlich auf dieser gottverlassenen Insel machte. Aber es mischte sich ein leises Lachen in sein Gemurmel. Einerseits musste er über sich selbst lachen, andererseits war er einfach fröhlich. Schließlich fühlte er sich wohl hier. Aus irgendeinem nahezu unbegreiflichen Grund.
Hätte ihm vor fünfzehn Jahren jemand gesagt, dass er einst auf Fårö leben würde, hätte er vermutlich viel lauter und dreckiger gelacht. Doch tief im Innern hätte er sich gefürchtet. War er deshalb hierhergezogen? Um diese Angst zu überwinden?
Nur noch den Hügel hinauf, und er war da. Er parkte neben Malins schwarzem Jeep und holte die Kamerataschen von der Rückbank, bevor er das Auto abschloss. Die restliche Ausrüstung würde er morgen hereinholen.
Er stieß die Pforte mit dem Rücken auf, zwängte sich mit den schweren Taschen zwischen den Pfosten hindurch und ging den Abhang hinunter. Erst als er sich in der graublauen Dämmerung dem Haus näherte, fiel ihm auf, dass kein Licht brannte.
Er beschleunigte seinen Schritt. Das Gras raschelte unter seinen Schuhsohlen, und die Schultertasche rieb an seiner Hüfte. Auf der Vortreppe blieb er stehen, stellte die andere Tasche ab und suchte nach dem Schlüssel. Ringsherum war es vollkommen still. Kein Wind in den Wipfeln, kein Meeresrauschen, keine Vögel.
Er griff nach dem klimpernden Schlüsselbund, steckte den passenden Schlüssel ins Schloss und stellte fest, dass die Tür nicht abgeschlossen war. Er ließ den Schlüssel stecken und trat ein. Ein schwerer fremdartiger Geruch schlug ihm entgegen. Er konnte ihn nicht einordnen. Es roch weder nach Parfüm noch nach Essen oder Putzmittel.
Er tastete hinter den Jacken an der Garderobe auf der linken Seite nach dem Lichtschalter. Und im selben
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