Nordwind: Kriminalroman (German Edition)
verrückt geworden, habe die beiden getötet oder sei selbst verletzt. Es kümmerte ihn nicht. Im Moment zählte nur, dass sie nicht mit Ellen hereinkam. Sie musste dafür sorgen, dass Ellen dieser Anblick erspart blieb.
Er sank neben Axel auf die Knie. Er musste weitermachen. Beugte sich hinunter und hielt ihm die Nase zu. Aus dem Handy, das er neben sich gelegt hatte, drang ein Knistern. Er hörte eine Stimme flüstern, verstand aber nicht, was sie sagte. Er konnte sich das Telefon jetzt nicht ans Ohr halten. Noch nicht. Zuerst musste er pusten.
Er war schon so lange allein mit ihnen, allein mit dem Blut und den Körpern, allein mit der Stimme der Krankenschwester. Er hatte der Stimme gelauscht, Luft in Axels Lungen geblasen und mit den Händen auf den zarten Brustkorb gedrückt. Die Stimme war seine Rettung gewesen, die Stimme wies ihm den Weg, während er die beiden wieder zum Leben erweckte.
Allein in der Dunkelheit, hatte er mit dem Tod gerungen, über und über besudelt mit Blut, und nur hin und wieder eine Pause eingelegt, um nach Ellen zu rufen. Nach jeder dieser endlosen Minuten hatte eine entlegene Vernunft sein Herz mit einer immer kühleren Hand gepackt. Hatte ihm gesagt, dass es zu spät war.
Draußen hörte er ein Auto. Es bremste ruckartig. Eine Tür wurde geöffnet und wieder zugeschlagen. Eine Weile war es still, dann Schritte, eine fremde Stimme. Er verstand die Worte Krankenschwester und Rettungsdienst. Sie war aus Skär. Der Kampf war nicht vergeblich gewesen. Nun kam jemand, der alles wieder in Ordnung bringen würde.
Alles würde wieder gut werden.
45
Mit einigen seiner engsten Mitarbeiter stand Fredrik in Kalbjerga vor der weit geöffneten Haustür. Die Diele war lichtdurchflutet. Im ganzen Haus waren die Lampen angeschaltet, und an die zwanzig Personen befanden sich vor oder in dem Gebäude.
Die Frau mittleren Alters in der rotgelben Jacke, auf der in großen Buchstaben stand, dass sie Ärztin war, erhob sich aus der Hocke neben dem blutverschmierten kleinen Jungen. Sie war höchstens einen Meter fünfundsechzig groß, und ihr kräftiges weißblondes Haar war kurz geschnitten. Sie sah sich unter den Polizisten um, die mit Ausnahme der Techniker abwartend in der Tür standen. Offenbar wusste sie nicht, an wen sie sich wenden sollte.
»Ja?«, bot sich Göran Eide an.
»Man kann nichts mehr machen«, sagte sie. »Sie sind schon seit Stunden tot.«
Die Ärztin sah müde aus, ihre Stirn war von Sorgenfalten zerfurcht.
»Lässt sich das genauer sagen?«
»Tja.« Hastig drehte sie sich noch einmal zu den Toten um. »Das ist zwar nicht direkt mein Gebiet«, fuhr sie fort, nachdem sie eine Weile überlegt hatte, »aber grob geschätzt drei, vier Stunden.«
Sie strich sich mit dem Jackenärmel über die Stirn.
»Und die Todesursache?«, fragte Göran.
Die Ärztin blinzelte, als hielte sie die Frage für überflüssig, begriff aber schnell die technische Seite der Sache. »Da sind natürlich die Schädelverletzungen«, sagte sie. »Aber ob die unmittelbare Todesursache der große Blutverlust war oder ob die Hirnschäden das Aussetzen der vitalen Lebensfunktionen bewirkt haben, lässt sich erst nach einer Obduktion entscheiden.«
Fredrik wandte sich ab und starrte hinaus in die Dunkelheit. Er verspürte ein beunruhigendes Stechen in den Beinen. Nicht die blutigen Wände, die beiden Toten oder ihre zerschmetterten Schädel berührten ihn so unangenehm. Es waren die Worte der Ärztin, die ihn ganz unerwartet nach Östergarnsholme zurückversetzten.
Er fiel die Klippen hinunter, oder besser gesagt, er sah sich fallen und unten liegen bleiben. Wenige Meter von ihm entfernt schlugen die Wellen gegen den Strand. Sie bespritzten ihn und den Toten unter ihm mit Gischt. Er sah etwas, das er nie zuvor gesehen hatte. Natürlich war es eine Phantasie. Er war ja bewusstlos gewesen. Erinnerungen gab es nicht.
Fredrik holte ein paarmal tief Luft und hörte die Ärztin hinter sich weitersprechen.
»Sie sind mehrmals mit einem schweren und harten Gegenstand geschlagen worden. Um welche Art von Gegenstand es sich gehandelt hat, kann sie Ihnen wahrscheinlich besser beantworten.«
Fredrik nahm an, dass die Ärztin Eva meinte.
»Die Frau hat Frakturen an Armen und Händen«, fuhr sie fort.
»Abwehrverletzungen«, hörte er Eva Karlén sagen.
Er drehte sich wieder zur Diele um und schob sich zwischen Gustav und Göran.
»Tja«, sagte die Ärztin, »viel mehr kann ich hier wohl nicht tun.«
Sie
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