Nore Brand 03 - Racheläuten
Hundertstelgedanken ihn, Remi Weissen, für einen Mörder halten konnte. Er beschloss zu schweigen und zu warten.
»Also dann nochmals von vorn«, seufzte Weissen. »An jenem Abend war ich zu Hause. Allein. Kurz vor zwölf Uhr ist meine Frau zurückgekommen. Sie war im Kino, mit einer Freundin. Auch das können Sie überprüfen. Falls Sie plötzlich denken, meine Frau …« Er brach ab und schaute Nino Zoppa böse an. »Ich war in der Sauna und dann habe ich einen Film im Fernsehen angeschaut. Meine Frau und ich interessieren uns nicht für die gleichen Filme.«
Nino Zoppa lächelte nicht zurück. Vermutlich hatten sie auch sonst unterschiedliche Interessen. Doch das musste er nicht so genau wissen. Das intimere Privatleben dieses Kragenbären interessierte ihn wenig.
Weissen lehnte sich in seinem weichen Sessel zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Sie sehen, mein Alibi ist vielleicht lausig, aber meine Frau wird beschwören, dass die Sauna noch heiß war, als sie nach Hause kam, dass ich wieder zu viel schmutzige Wäsche produziert und vor allem nicht einmal aufgeräumt habe.«
Er betrachtete Nino Zoppa durch leicht zusammengekniffene Augen. Plötzlich schnellte er nach vorn.
»Aber egal«, stieß er aus, »das alles habe ich Ihrem Kollegen bereits mitgeteilt.« Er lächelte plötzlich. »Übrigens, dieser Mann hat sehr professionell gewirkt.«
Zack!, dachte Nino Zoppa. Das sollte direkt in die weichste Stelle seines Magens gehen. Tat es aber nicht, denn Nino Zoppa wollte es genau so haben. Er legte es drauf an, dass man ihn auf die leichte Schulter nahm. Und zwar so lang, als er auf Informationen aus war. Die Menschen waren schwatzhafter, wenn sie sich nicht kontrolliert oder bedroht fühlten.
Nino Zoppa gab sich einen Ruck und bemühte sich, Remi Weissen freundlich anzuschauen. Das war nicht einfach.
Was für ein selbstgefälliger Kerl. Jetzt saß er wieder am Tisch und suchte einen Schreibstift. Was wollte er aufschreiben? Klar, gleich würde er nach der Nummer des Chefs fragen, weil er sich beschweren wollte. Nino lachte innerlich. Dieser Mann war durchsichtig wie ein frisch geputztes Fenster.
Wie er alle zwei Minuten mit zwei Fingern die graublonde Strähne über der Stirn ganz vorsichtig an ihren Platz schob.
Wie sagte seine Nachbarin, die Schauspielerin, immer?
Ein eitler Geck!
Nino Zoppa erhob sich. »Danke. Das war’s. Jetzt können wir diese kleine Lücke schließen.«
Remi Weissen nickte ihm aufatmend zu und legte den Stift wieder an seinen Platz.
Als Nino Zoppa die Eingangshalle Richtung Ausgang durchquerte, warf er einen Blick zurück.
Das Kostüm hatte sich in Luft aufgelöst. Kaffeepause offenbar.
»Tschüss, du schöne Schwarze«, flüsterte er, winkte dem leeren Platz zu und verließ das Haus.
7 Donnerbühl und Falkenhöhe
Am selben Dienstag stand Nore Brand morgens draußen vor ihrem Haus. Sie hielt den Blick auf die Straße und das Trottoir gerichtet. Es war nicht auszuschließen, dass die Schildkröte Dominik unvermittelt auftauchte.
Sie war früh aufgestanden. Sie kannte den Schulweg der Kinder und sie wusste, wann sie bei ihr um die Ecke gingen. So wartete sie ab. Doch Julius kam nicht.
Gegen acht, der Morgenverkehr war bereits am Abflauen, setzte sie sich wieder in Bewegung.
Auf dem Bühlplatz zögerte sie einen Moment, dann bog sie ab Richtung Murtenstrasse.
Es war der Moment, diese Firma zu besuchen. TeamTowerClock. Was für ein idiotischer Name. Mittlerweile genügte die Abkürzung TTC. Die Medien hatten dafür gesorgt. TTC. Es war der teure Einfall eines überbezahlten Designers gewesen. Der kleinformatige Blick-am-Abend hatte es als Erster gemeldet. Und dazu die Zytglogge-Miniatur abgebildet.
Die Firma war natürlich nicht wegen des neuen Fabrikats in die Schlagzeilen gerückt; zunächst interessierte nichts als der Todesfall. Der junge Mann, Enkel des Firmenbesitzers, der tot aufgefunden worden war. Im Bärengraben!
Über den Donnerbühlweg würde sie die Falkenhöhe erreichen, und hinter der Falkenhöhe, irgendwo am Hang über den Gleisen, stand die Firma.
In den hohen Laubbäumen lärmten Zugvögel, und in der Ferne hörte sie die quietschenden Bremsen eines Zuges. Sie blieb stehen.
Sie hatte vergessen, Lehrer Zehnder zu fragen, wie Wilmas Großmutter hieß.
Zehnder hatte beschlossen, Henriette Finks Mutter zu vertrauen. Was blieb ihm auch anderes übrig.
Aber sie, die Kommissarin, musste misstrauisch sein und hellhörig.
Je länger
Weitere Kostenlose Bücher