Nore Brand 03 - Racheläuten
verhalten in letzter Zeit?«
»Das kann ich leider nicht sagen. Ich war zwei Monate weg.«
Es stellte sich heraus, dass der junge Mann Medizinstudent im fünften Semester war. Er hatte ein Praktikum im Tessin absolviert. Als er zurückkam, erfuhr er, dass Federico Meier tot war. »Es stand in der Zeitung!« Er fuhr sich aufgeregt durch die Haare. »Dass er sich umgebracht hat, das verstehe ich nicht. Wir haben ab und zu mal eine Zigarette zusammen geraucht. Er auf seinem Balkon und ich auf meinem«, er lachte. »Sie können sich vorstellen, dass man da nicht viel redet, höchstens belangloses Zeug.«
Da fiel ihr die Sache mit den Medikamenten wieder ein. »Vielleicht können Sie mir helfen. In Federicos Taschen fanden wir Spuren eines Antidepressivums.«
Da flog eine leichte Röte über sein Gesicht. Die Frage war ihm sichtlich unangenehm.
»Sie wissen das sicher, als Medizinstudent kann ich Medikamente beziehen«, erklärte er hastig.
Aber vielleicht besser noch nicht Hausarzt spielen, dachte sie. Seine Verlegenheit musste damit zusammenhängen.
»Federico arbeitete unglaublich viel«, fuhr Florian Schütz fort. »Immer am Computer, soviel ich weiß. Er beklagte sich über Schmerzen im Nacken und im Rücken. Er hatte noch keinen Hausarzt. So habe ich ihm ein Medikament besorgt …, eine Art Freundschaftsdienst. Es war ein Antidepressivum, das auch gegen Muskelschmerzen eingenommen wird.«
Er brach ab. »Entschuldigen Sie, darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Dass ich nicht eher daran gedacht habe …«
»Das ist freundlich von Ihnen, aber nein, Danke«, sagte sie, »ich muss weiter. Nur das noch: Federico Meier hat also dieses Medikament gegen Schmerzen eingenommen. Aber wirkte er auch irgendwie depressiv?«
Der junge Mediziner schaute sie erstaunt an. Er schüttelte langsam den Kopf. »Nein, diesen Eindruck hatte ich nicht. Gar nicht. Er wirkte vielleicht etwas orientierungslos, aber nicht mehr als das. Er wollte mit der Zeit in das Geschäft seines Großvaters einsteigen und darauf freute er sich.« Er schaute sie ernst an. »Ich glaube, Federico war ein ehrgeiziger Mensch. Er wollte es unbedingt zu etwas bringen. Er hatte doch blendende Aussichten.«
Wie oft hatte sie diese Worte schon gehört in diesem Zusammenhang.
Er verstummte. »Seltsam, da glaubte ich doch eben, nichts zu wissen von ihm.«
Sie nickte ihm erleichtert zu. »Sie haben mir geholfen. Ich bin froh, dass ich Sie getroffen habe.«
Sie verabschiedete sich und ging die Treppe hinunter, da spürte sie seinen ratlosen Blick im Rücken. Plötzlich begriff sie seine Reaktion. Sie drehte sich mit einem Lächeln um. »Ich bin wirklich sehr froh, dass ich weiß, wozu er dieses Antidepressivum brauchte. Das ist alles, ich werde Sie in dieser Sache nicht mehr behelligen!«
Er schien aufzuatmen. Im Augenwinkel sah sie, wie er ihr nachwinkte.
9 Die Angst von Max Lebeau
»Da geht man ein Leben lang durch diese Stadt und meint, dass man sie kennt wie die eigene Hosentasche«, sagte Nino Zoppa am nächsten Morgen, »dabei ist das alles ein großer Irrtum!« Er drückte die Tür hinter sich zu. »Aber das ist nur der eine Schreck.«
Nore Brand hob ihren Kopf und schob die Brille zurecht.
Mit einem großen Schwung stellte er einen Becher Kaffee vor sie hin. »Da, mein Favorit. Den musst du probieren. Cappuccino von meinem Lieblings-Take-Away. Für präzisere Auskünfte werden Kosten erhoben. Nach einem halben Becher bist du süchtig.«
Sie nahm den Becher entgegen, öffnete den Deckel und inspizierte den Inhalt. »Der Becher klebt. Ein Punkt Abzug.«
Nino Zoppa warf sich auf den Besuchersessel. »Es sind die inneren Werte, die zählen. Aber zuerst musst du mir ganz genau zuhören.«
»Zuhören und schnuppern geht gleichzeitig.« Doch sie drückte den Deckel wieder auf den Becher und wandte sich ihm zu.
»Du weißt, ich bin in der Kramgasse aufgewachsen und habe dort zuerst kriechen und mit den Jahren gehen gelernt. Diese Gasse ist die Welt, die ich von allem Anfang an kenne.« Er machte eine Pause. »Aber Nore, heute Morgen hatte ich einen Schock! Ich habe die Mauern angeschaut und nicht die Schaufenster und die Leute davor, die Straße und nicht die Autos, und da höre ich auf einmal diese Glocke! Mir kam es vor, als ob ich diese Glocke noch nie gehört hätte, dabei ist das doch absolut unmöglich! Aber ich erkläre dir hoch und heilig, dass dieses Läuten mir noch nie ganz ins Bewusstsein gedrungen ist.« Er warf ihr einen prüfenden
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