Nore Brand 03 - Racheläuten
ich weiß eigentlich gar nichts über ihn, und Sie tauchen einfach so auf, um mich darauf hinzuweisen«, schloss er.
Der Vorwurf war unüberhörbar.
Sie hielt ihm nichts vor, das war nicht ihre Aufgabe.
»Könnte ich die Mutter von Federico sprechen?«, fragte sie in die Stille hinein.
Der Gartenstuhl kam ihr schmerzhaft zu Bewusstsein; er war hart und eiskalt. Sie saß schon viel zu lang hier.
Oskar Schmied schaute sie an, sein Blick war unergründlich. »Rosmarie? Rosmarie ist schon wieder weg. Sie wollte bei ihrem Mann sein, weil sie beide jetzt eine besonders schwierige Zeit durchmachen, sagte sie.« Er schüttelte kaum merklich den Kopf. »Mir kam es vor«, er sagte es wie zu sich selbst, »als ob sie Federico nach seinem Tod in meine Obhut gegeben hätte. Sie hat es gar nicht ausgehalten, hier zu sein, in meinem Haus. Das war mir von der ersten Minute an klar. Es war wohl immer so gewesen. Kaum war sie hier, sprach sie von der Abreise. Sie ist am Freitag schon nach Aberdeen zurückgeflogen. Ihr Mann ist wieder dort stationiert.«
»Welche Beziehung hatte sie zu ihrem Sohn?«
Oskar Schmied zuckte die Schultern. »Das kann ich nicht sagen, Federico war ja vor allem in Internaten. Er habe das so gewollt, weil das Leben dort spannender war als zu Hause, meinte sie.« Er lächelte, als ob er sich für seine Tochter entschuldigen müsste. »Ich vermute, sie hatten einander nicht viel zu sagen. Rosmarie war nicht hier, als es passierte, und sie ist weg, bevor alles ausgestanden ist. So ist das leider. Sie kann nicht plötzlich eine gute Mutter sein, oder?«
Sein Ton machte klar, dass er zu diesem Thema nichts mehr sagen wollte.
Sie zog ihr Notizbüchlein wieder hervor und blätterte kurz darin.
Er betrachtete sie aufmerksam. »Noch etwas?«
»Ja«, sie hob ihren Blick, »Herr Schmied, wir halten es für möglich, dass Federico ermordet wurde.«
Oskar Schmieds Kinn fiel herunter. Seine Augen waren plötzlich leer.
»Ermordet? Federico …?«
»Es tut mir leid.«
»Und Sie sagen das erst jetzt?« Er schaute sie fassungslos an. »Ermordet?«
Sie nickte. »Es gibt Hinweise.«
»Aber Federico hatte doch keine Feinde«, stammelte er und sein Blick irrte hin und her. »Frau Brand, nun reden wir schon so lang über ihn, und jetzt kommen Sie so plötzlich …«, er brach ab.
Er saß bewegungslos da und starrte auf den rostigen Tisch. Nach einer Weile hob er seinen Kopf.
»Das verändert alles, das heißt, das würde alles verändern, oder? Vielleicht mochten ihn nicht alle«, sagte er mit heiserer Stimme. »Zugegeben, er war vielleicht manchmal ein Kindskopf und hatte eine große Röhre, aber das ist doch nichts Seltenes bei einem jungen Mann.« Er schluckte schwer. »Er hatte Charme. Das hat meine Frau einmal gesagt, nachdem sie die beiden längere Zeit besucht hatte. Der Knabe sei ein Lausbub, aber er sei auch ein kleiner Charmeur.«
Er schüttelte wieder und wieder den Kopf. »Federico ermordet? Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Schlagen Sie sich das aus dem Kopf, Frau Brand.«
»Wir müssen alles noch einmal unter die Lupe nehmen, Herr Schmied«, sagte sie bedauernd, »doch gibt es neue Hinweise, die Selbstmord ausschließen könnten.«
»Trotzdem«, er schien sich gefasst zu haben. »Ich muss mich zuerst an den Gedanken gewöhnen. Zuerst redet man von Selbstmord – und jetzt das.«
Er legte die Hände vor das Gesicht.
Als er wieder aufschaute, waren seine Augen gerötet.
»Mord oder Selbstmord. Ich werde wohl akzeptieren müssen, dass er nicht einfach so gestorben ist, dass es nicht einfach ein trauriger Unfall war«, sagte er bitter.
»Federico war mit seiner Pistole unterwegs«, sagte sie.
Oscar Schmied atmete schwer. »Wenn er seinem Leben kein Ende setzen wollte, was war es dann?« Er schaute hoch. »Ich habe einmal in meinem Leben meine Armeepistole gebraucht. Nicht weil ich töten wollte, nein, ich war jung und ich hatte Angst.« Er schaute sie mit einem forschenden Blick an. »Später habe ich nicht begriffen, warum die Pistole damals notwendig gewesen war. Ich hatte mich einfach in eine dumme Situation manövriert, weiter nichts.«
Er schob den Stuhl zurück.
»Federico war noch kein Mann. So wie ich damals.«
Er zog seine Taschenuhr hervor.
Es ist Zeit, hieß das.
Sie erhoben sich wortlos und gingen den Weg durch den Park zurück.
Vor der Treppe zum Haupteingang verabschiedeten sie sich. Sie schaute ihm nach, wie er die Treppe hinaufging. Seine Bewegungen hatten jeden
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