Nore Brand 03 - Racheläuten
rasch nach der Lenk und dem See.
Alles in bester Ordnung, erklärte Elsi Klopfenstein, jetzt wo sie nicht mehr allein sei, habe sie noch eine Saison angehängt. Sie zwinkerte der Kommissarin vertraulich zu.
»Doris, meine Cousine, Sie erinnern sich vielleicht, findet, er sei nun wirklich kein Traummann. Aber«, sie machte eine kleine Pause, »ich brauche doch keinen Traummann. Ich brauche einen für den Alltag. Es gibt eben keine Traummänner für den Alltag. Das habe ich ihr gesagt, worauf sie meinte, dass man ihn bis jetzt noch nicht gefunden habe, beweise nicht, dass es ihn gar nicht gibt.«
Elsi Klopfenstein rollte die Augen. Diese Doris.
Beim Hauptbahnhof stiegen sie aus und verabschiedeten sich. Kurz bevor die Rolltreppe sie in den Untergrund trug, drehte sich Elsi Klopfenstein mit einer heftigen Bewegung um und winkte enthusiastisch. »Grüssen Sie Nino von mir!«, schrie sie im letzten Moment über die Köpfe hinweg. Dann verschwand sie im Untergrund.
Nore Brand schaute sich nach dem 12er Bus um. Sie hatte im Sinn, sich in Federico Meiers Wohnung umzusehen.
Eine Viertelstunde später stand sie vor der Tür seiner Wohnung. Über dem Klingelknopf stand sein Name. ›F. Meier‹, mit blauem Kugelschreiber provisorisch hingekritzelt. Sie drückte auf die Klinke. Die Tür gab sofort nach. Man hatte sie offengelassen. Nore Brand war froh, dass sie nicht den Hauswart bemühen musste.
Sie trat ein und achtete darauf, dass die Tür nicht hinter ihr zufiel. Sie ging durch die Wohnung, und wieder stellte sich dieses unangenehme Gefühl ein. Sie war ein Eindringling in der Welt eines Ermordeten. Sie hatte soeben wieder diese Grenze überschritten. Sie würde dieses Gefühl, für das sie keinen Namen fand, nie überwinden. Sie bewegte sich sehr vorsichtig in dieser Wohnung und dennoch fühlte sie sich als Ruhestörerin. Im Wohnraum blieb sie stehen. Von außen drangen keine Geräusche herein. Es war totenstill hier.
Federico Meier hatte hier vielleicht gewohnt, aber er war hier nie wirklich eingezogen. Kein einziges Bild hing an den frisch gestrichenen Wänden. Sie durchquerte den Raum und schaute hinaus. Eine breite Tanne versperrte die Aussicht auf die Altstadt. Und im Winter würde sie den Menschen, die hier einziehen würden, die Sonne aussperren.
Auf dem Balkon stand ein Aschenbecher. Die Zigarettenstummel schwammen in einer braunen, wässrigen Brühe. Regenwasser und aufgelöster Tabak. Federico Meier hatte im Stehen geraucht. Oder auf dem Boden sitzend. Für einen bequemen Stuhl reichte der Platz nicht.
Das Schlafzimmer war dunkel und eng, das Bett zerwühlt. Dieser Anblick beunruhigte sie. Als ob er eben aufgestanden wäre, doch der Stuhl war leer, keine gebrauchten Kleider lagen da, keine Schuhe. Nichts.
Da hörte sie Schritte auf dem Flur.
Sie ging rasch zur Eingangstür.
Ein junger, etwas rundlicher Mann schaute erschrocken auf. Er hatte in seinen Einkaufstaschen nach dem Wohnungsschlüssel gesucht. Er schaute sie mit leicht geöffnetem Mund an. Sie stellte sich vor und entschuldigte sich für den Überfall.
»Überfall?«, lächelte er. »Nicht so schlimm. Sie haben mich tatsächlich überrascht. Ich bin Florian Schütz«, fügte er rasch bei.
Der junge Mann hatte freundliche blaue Augen. »Aus dieser Tür ist nie jemand anderes gekommen als Federico selber.«
»Dann hatte er nicht viele Freunde?«
Der junge Mann schaute sie an. Sein Blick war offen und liebenswürdig. »Ich habe keinen einzigen gesehen. Er war ja ziemlich neu in der Stadt. Er lebte vorher in England. Das weiß ich von seiner Mutter. Die hat kürzlich seine Sachen geholt.«
Dann hatte sie die Tür offenstehen lassen. Es gab für sie auch keinen Grund mehr, hinter sich abzuschließen.
»Wie wirkte sie?«
Er dachte kurz nach. »Starr«, er verwarf seine Hände, »sie konnte noch nicht traurig sein, so kam es mir vor. Sie packte seine Sachen zusammen. Bevor sie ging, klingelte sie bei mir und bedankte sich. Sie lachte andauernd.« Florian Schütz schüttelte traurig den Kopf. »Sie lachte, und ich wusste nicht, was ich zu ihr sagen sollte. Was kann man da überhaupt sagen?« Er schaute sie ratlos an.
Nore Brand nickte ihm zu. Sein Mitgefühl war nicht gespielt.
»Hatte er eine Freundin? Oder einen Freund?«
Er zuckte die Schultern. »Nein. Ich dachte mir, dass er sich etwas Zeit lässt mit dem …«, er suchte nach einem Wort, »Einleben.«
Sie musterte den jungen Mann. »Hat sich Federico Meier irgendwie anders
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