Nore Brand 03 - Racheläuten
du das ganze Jahr Ruhe haben willst vor den neugierigen Blicken der Menschen, dann musst du Kirschlorbeer pflanzen«, hatte eine Nachbarin gemeint. »Man wohnt hier sehr nahe beieinander. Ein bisschen Grün kann da nicht schaden. Gut für den nachbarschaftlichen Frieden.«
Sie selbst lebte hinter einem grünen Schutzwall aus wild wucherndem Kirschlorbeer und schien darin ihren Frieden zu haben, aber auch sehr viel Schatten.
Im Hinterhof standen Fahrräder herum, hingen Wäscheleinen aufgerollt an rostigen Eisenstangen.
Bastian Bärfuss war ein angenehmer Mieter, das vermutete und hoffte er zumindest. Er bezahlte die Miete an einen unbekannten Hausbesitzer, der froh war über jeden Franken, den er nicht in das Haus investieren musste.
Die Nachbarn würden alle bestätigen, dass er keinem zur Last fiel. Bärfuss würde sich sehr darüber freuen, aber es sagte ihm keiner.
Vielleicht war das Bedürfnis, niemandem zur Last zu fallen, besonders stark, weil es ihm in seinem Beruf verwehrt blieb. Seine Arbeit bestand darin, im Leben anderer Menschen nach, gelinde gesagt, Unregelmäßigkeiten zu suchen, die nicht toleriert werden durften, weil durch sie anderen Menschen in irgendeiner Weise Schaden zugefügt wurde. Ärgerlich war nur, dass die Welt dadurch nicht wirklich gerechter wurde. Es gab zu viele, die schneller waren als die Polizei, besser ausgerüstet, besser organisiert, ja, sogar das musste er zugeben, auch das.
Am allerschlimmsten jedoch war für ihn, dass diese Menschen intelligent waren. Oft intelligenter als er. Damit hatte er zu leben.
Aber Eigennutz und Skrupellosigkeit gepaart mit Schlauheit waren ihm unheimlich. Dem hatte er außer seiner Hartnäckigkeit wenig entgegenzusetzen.
Vielleicht hatte er, gerade weil er seiner eigenen Intelligenz misstraute, sich im Laufe seines Lebens eine große Ausdauer angeeignet. Dank der Einsicht, dass Kriminelle oft den Fehler machten, dass sie zu schnell vorgingen, plötzlich die Dinge überhasteten und sich damit, ganz nahe am Ziel, alles verdarben.
Als Bärfuss die Tür zu seiner Wohnung geöffnet hatte, stach ihm ein scharfer Geruch in die Nase.
Ja natürlich. Heute war Putztag gewesen. Frau Moser, die mit ihrer Familie im dritten Stock wohnte, hatte mit allerhand Mitteln gründlich sauber gemacht. Sie war außerordentlich reinlich, das anerkannte er, aber ihm ging es im Grunde nur darum, dass der Staub nicht durch die Wohnung wirbelte. Aber sie hatte ihm nie zugehört.
»Überlassen Sie das mir! Ich weiß, was ich zu tun habe. Mein Leben besteht schließlich aus Putzen.«
Sie putzte mit einem Ehrgeiz, als ob ihr Leben davon abhinge. Und er vermied es von da an, ihr bei dieser Tätigkeit in seiner Wohnung zu begegnen.
Bärfuss hängte seine Jacke in die Garderobe und holte sich in der Küche ein sauberes Glas und die offene Flasche Rotwein vom Vorabend.
Die merkwürdigen Geräusche in den Radiatoren, das Gurgeln, Pfeifen und Rumpeln, bedeuteten, dass man angefangen hatte zu heizen. Nur wenn man die Heizung ganz ausschaltete, gab sie Ruhe. Wenn sie lief, dann eben mit viel Getöse. Und die Radiatoren wurden glühend heiß.
Man könne diese alten Heizungen nicht feiner einstellen, hatte der Fachmann erklärt. »Die überlebt uns alle um Jahre. Das System ist unkompliziert und gut zu reparieren, wenn es mal sein muss. Aber erwarten Sie nicht, dass Sie alle Ihre Temperaturvorstellungen erfüllt. So günstig wie mit dieser alten Installation können Sie nie mehr heizen in Ihrem Leben.«
Bärfuss öffnete die Wohnzimmerfenster und schaute in den dunklen Garten hinaus. Man müsste wieder einmal Sträucher schneiden. Man müsste, ja. Er schloss das Fenster wieder, stellte das Glas auf den niedrigen Holztisch, machte die Stehlampe an und schob den Wandschirm wieder zwischen Fenster und Sofa. Frau Moser schob ihn immer ordentlich zur Seite. Er holte seine Pfeife hervor und begann sie zu stopfen.
Bastian Bärfuss dachte an Katrin Lebeau.
Beinahe wäre sie mit einem blauen Auge davongekommen. Er korrigierte sich, es ging natürlich um Max, ihren Mann. Aber Bärfuss kannte ihn kaum, also ging es ihm um Katrin.
Fast wäre ihr entgegengekommen, dass dieser junge Kriminalist viel zu hastig vorgegangen war. Er wollte unbedingt einen Erfolg. Er wollte allen zeigen, was er für ein Kerl war. Vielleicht war er das auch, aber das lag noch tief verborgen unter etlichen Schichten, und es würde verborgen bleiben, solang die Gier nach schnellem Erfolg ihn antrieb.
Wenn
Weitere Kostenlose Bücher