Nore Brand 03 - Racheläuten
geplant. Der Ort, die Zeit, die Handschuhe, wenn es wirklich Handschuhe waren.
Sie erinnerte sich an Oskar Schmied, wie er von seinem Enkel erzählte. »Er wirkte so heiter und unbeschwert, als er ging. Ich hörte ihn pfeifen.«
Nore Brand legte den Stift auf den Tisch und lehnte sich im Stuhl zurück. Die beiden hatten ein Gespräch geführt von Mann zu Mann, so hatte es Schmied gesagt. Was hieß das genau?
Über Geld, über Essen, über Frauen. In welcher Reihenfolge dann auch. Nein, zuerst das Essen. Das würde Jacques vermutlich sagen.
Bastian Bärfuss gebrauchte diese Worte auch. Von Mann zu Mann.
Sie fand ihn in seinem Büro. Er hatte sich offenbar eben einen Kaffee geholt. Er saß zurückgelehnt in seinem Stuhl. Das Kuhfell über die Beine geschlagen. In der Hand ein Büchlein. Er gab sich entspannt, doch die Ränder um seine Augen verrieten große Müdigkeit. Folge einer Reihe von schlechten Nächten.
Er winkte ihr mit dem Büchlein zu.
»Komm herein! Hast du eine Pause?«
»Nein, keine Pause, ich bin mitten in der Arbeit.« Sie zog die Tür hinter sich zu. »Ich habe eine Frage.«
Er richtete sich auf.
»Worüber reden Männer so von Mann zu Mann ?«
»Von Mann zu Mann?«, wiederholte er. Er schaute sie belustigt an.
»Denke nicht lang nach, sag’s einfach«, drängte sie.
Bastian Bärfuss zögerte. »Über Frauen vermutlich und was dazugehört.«
»… und was dazugehört«, wiederholte sie, »was heißt das genau?«
Bärfuss wehrte erschrocken ab. »Nein, du verstehst mich nicht richtig!«
»Natürlich verstehe ich richtig.« Sie war unerbittlich und sie wusste es. »Dein Ton war klar genug. Bei Gesprächen von Mann zu Mann geht es nicht um Geld, auch nicht um Politik oder Kunst. Auch nicht um Essen und Trinken. Es geht einfach um Frauen, um Sex.«
Er gab auf. »Ja, vielleicht so ähnlich. Aber das klingt nicht nett. Obwohl, ja, das würde ich sagen. In der Regel geht es um Frauen. Das beste Thema. Aber ich würde es nicht auf …«, er schaute sie vorwurfsvoll an, »Sex reduzieren. Da gehört schon mehr dazu. Auch Kunst und Kulinarisches. Mindestens.«
»Gut«, sagte sie, »danke. Mehr muss ich im Moment nicht wissen.«
»Du wolltest eine rasche Antwort, die habe ich dir gegeben«, setzte er entschuldigend hinzu. Er kratzte sich hinter dem rechten Ohr. »Wenn du den Chef fragst, dann sagt er dir vielleicht etwas anderes, vermutlich.«
Vermutlich, ja.
Viel eher würde er sich weigern, diese Frage zu beantworten.
Bastian Bärfuss erhob sich. Ihm schien etwas eingefallen zu sein.
»Ach ja, Nore, wie läuft’s im Fall Meier? Gibt es etwas Neues?«
»Eine Minute«, sagte sie. Sie zog einen Stuhl heran und setzte sich Bastian Bärfuss gegenüber.
»Kennst du die Fakten?« Sie schaute ihn prüfend an.
Er wich ihrem Blick aus. »Nicht so gut wie du inzwischen. Und?«
»Ich gehe davon aus, dass es sich nicht um Selbstmord handelt.«
»Also um Mord«, sagte er leise.
Nore Brands Antwort schien ihn zu verstören.
Sie ließ ihn nicht aus den Augen. »Bastian, interessiert dich das sehr? Ich meine, mehr als andere Fälle?«
»Nein, nein«, wehrte er ab. »Oder doch. Schon. Er ist vertrackt.«
»Deshalb also musste ich…«
»Mir schien einfach«, sagte er rasch, »dass du geeigneter bist für diesen Fall. Es musste doch jemand mit frischen Augen an die Sache. Und dieser Kurs läuft dir auch nicht davon.«
Er versuchte zu lächeln.
»Der Chef war begeistert, als ich ihm meldete, dass du sozusagen schon unterwegs warst. Ich sagte es ja. Dass du auf dem Weg dorthin warst, das muss er für eine Art Unterwerfungssignal gehalten haben. Gut für dich.«
Unterwerfungssignal, wie kam Bastian Bärfuss bloß auf so ein Wort.
Doch sie entschied, ihn nicht einzuweihen. Genau genommen war sie gar nie unterwegs gewesen, jedenfalls zu diesem Kurs nach Interlaken.
»Was liest du da?«, fragte sie.
Er hielt das Büchlein hoch. »Seneca für Gestresste. Das habe ich schon lang mal gekauft, und jetzt scheint mir, ist der Moment gekommen. Zu jedem Kaffee ein Gedanke von Seneca. Seine Gedanken sind kompliziert, aber wenn ich etwas begreife, dann entspannt es mich. Eine Tasse Kaffee und eine halbe Seite Seneca, das habe ich mir für diesen Herbst vorgenommen. Das ist besser als jedes Beruhigungsmittel.«
Sie verließ sein Büro. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals in der Gegenwart von Bastian Bärfuss ein körperliches Unbehagen verspürt zu haben. Doch eben war es so gewesen.
Er wollte alles
Weitere Kostenlose Bücher