Nore Brand 03 - Racheläuten
wissen über den Fall Meier. Man musste ihn auf dem Laufenden halten, dabei schien es ihm äußerst unangenehm, dies zuzugeben. Warum?
Er hatte sie an einen Fall gesetzt, an dessen Lösung ihm sehr viel liegen musste. Anders war sein Verhalten nicht zu verstehen.
Sie wunderte sich. Auch Bastian Bärfuss hatte etwas zu verbergen. Dieses ausweichende Lächeln, sein Blick. Irgendetwas an dieser Sache ging ihm sehr nahe.
Und er las Seneca, Philosophie für Gestresste.
So viele Jahre schon arbeiteten sie zusammen, doch sie stellte mit einem Mal fest, dass sie kaum etwas wusste von ihm.
In ihrem Büro fand sie einen Zettel mitten auf ihrem Schreibtisch.
Ninos Handschrift.
Sie hob ihn auf und las.
Nore, wir haben ihn! Es ist Lebeau!
Gruss, Nino
P.S. Schade! Ich mag geniale Typen!
Lebeau, ja, das war möglich. Sie faltete den Zettel und steckte ihn in ihre Jeanstasche.
10 Bastian Bärfuss hat Grund zu grübeln
Als Nore Brand die Tür hinter sich zugezogen hatte, legte Bärfuss das Büchlein auf den Tisch und begann seine Pfeife zu stopfen. Sein Blick blieb auf dem Buchcover hängen.
Auf einmal sah er und staunte.
Dass er dieses Bild nicht schon längst gesehen hatte! Eine Fußspur im Sand. Im Sand! Ein kleiner Wind, und die Spur war verwischt und weg. Und keiner wusste, dass sie mal dagewesen war. Auch derjenige, der sie hinterlassen hatte.
Bärfuss legte den Kopf zurück.
Nore hatte ihn beobachtet. Mehr als das. Sie war misstrauisch. Sie hatte ihn für einen Moment unter die Lupe genommen. »Warum interessiert dich dieser Fall so sehr?« Dabei hatte sie ihn angeschaut mit ihrem unangenehm forschenden Blick.
Verdammt, wer so schlecht lügen konnte.
Sich verstellen war schon schwer genug. Vor Nore war das rein unmöglich. Auch deshalb hatte er damals dafür gesorgt, dass sie hier einen Platz bekam.
Vermutlich war sie die Spur, die er mal hinterlassen würde. Von seinen eigenen Spuren hielt er nicht viel. Er machte sich nichts vor. Er war zu leichtfüßig, als dass er etwas hinterlassen konnte. Ein Windchen und weg wäre alles, was der Druck seiner Füße in den Sand des Lebens gesetzt hatte.
Sand des Lebens. Das Bild gefiel ihm.
Wegen dieser Sache mit der Vergänglichkeit.
Und wie konnte es sein, dass man unvermittelt Dinge erkannte, die man andauernd vor den Augen gehabt hatte? Dieses Büchlein hatte er jahrelang irgendwo in seiner Wohnung herumliegen sehen, dann hatte er es ewig mit sich herumgetragen und war blind geblieben für das Bild.
Und eben hatte aus völlig unbegreiflichen Gründen ein geheimer Impuls die Netzhaut mit einer bestimmten Gehirnregion in Verbindung gebracht: Auf einen Schlag sah er die Fußspur, die nur noch auf diesem Bild existierte. Als Erinnerung an einen unbekannten Menschen, an ein unbekanntes Leben.
Er warf einen Blick auf die Uhr und atmete auf. Für heute war Schluss. Er steckte das Büchlein in die Jackentasche und verließ sein Büro.
Es war still im Korridor.
Dann ertönte aus einem Büro eine laute Stimme.
Bastian Bärfuss beschleunigte seinen Schritt. Er wollte keinem begegnen. Er hatte keine Lust auf Gespräche.
Draußen atmete er auf.
In Gedanken versunken überquerte er den Waisenhausplatz. An der Haltestelle Bärenplatz wartete er auf den Bus. Auch die weisesten Männer machen viele Fehler, hatte Seneca geschrieben. Er selber war nicht weise, weit davon entfernt, aber er machte viele Fehler und vermutete, dass er eben dabei war, den größten seines Lebens zu begehen.
Der Bus fuhr heran, Bärfuss stieg ein und setzte sich hin. Marktgasse, Kramgasse, Gerechtigkeitsgasse.
Gerechtigkeitsgasse. Was für ein Name für eine Gasse.
Auf der Nydeggbrücke standen Touristen und suchten die Bären am Aarehang. Immerhin hatten sie gutes Herbstwetter, die Bären und die Touristen.
Beim Bärengraben stieg Bärfuss aus, ging über die Straße, bog in den Haspelweg ein und ging bergauf.
Er wohnte im Obstbergquartier. Damals hatte er sich für diese Wohnung entschieden, weil es ihm gefiel, in einem Quartier zu wohnen, das Obstberg hieß. Es war etwas freundlich Herbstliches in diesem Namen.
Der Weg war sehr steil, doch er musste ihn nicht bis an sein Ende gehen.
In einer der mehrstöckigen Häuserreihen mit kleinen Vorgärten, Zäunen und Hecken wohnte Bärfuss. Im Erdgeschoss.
Vom Wohnraum aus führte eine Terrasse in den kleinen Garten, den hohe Büsche und Sträucher im Frühjahr, Sommer und bis weit in den Herbst von der Quartierstraße abgrenzten.
»Wenn
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