Northanger Abbey
schon wegeilten. Die jüngeren Miss Thorpes tanzten ebenfalls, Catherine blieben somit nur Mrs. Thorpe und Mrs. Allen, zwischen denen sie nun festsaß. Sie konnte nicht umhin, Mr. Thorpe seine Säumigkeit zu verübeln, denn nicht nur sehnte sie sich danach zu tanzen, es sah ja nun auch niemand, daß ihre Situation in Wahrheit über jeden Zweifel erhaben war; und so teilte sie mit den Dutzenden anderer junger Damen, die noch saßen, die ganze Schmach des Verschmähtseins. – Entehrt zu sein in den Augen der Welt, den Makel der Schande zu tragen, obwohl sie rein im Herzen und schuldlos in ihrem Handeln ist und ihre Erniedrigung einzig fremdem Fehlverhalten verdankt, gehört zu jenen Prüfungen, die einer Romanheldin besonders gern auferlegt werden; und ihre Tapferkeit im Angesicht solcher Prüfungen ist es, was ihrem Charakter seinen ganz eigenen Adel verleiht. Auch Catherine besaß diese Tapferkeit; sie litt, doch kein Laut drang über ihre Lippen.
Aus dieser demütigenden Lage wurde sie nach zehn Minuten durch eine erfreulichere Empfindung erlöst, hervorgerufen durch den Anblick nicht Mr. Thorpes, sondern Mr. Tilneys, keine drei Meter von ihrem Sitzplatz entfernt; er schien auf sie zuzuhalten, aber er sah sie nicht, und so konnten das Lächeln und Erröten, das sein plötzliches Wiederauftauchen Catherine entlockte, kommen und gehen, ohne ihre Heldinnenwürde zu beschädigen. Er sah genauso nett und lebhaft aus wie beim ersten Mal und unterhielt sich angeregt mit einer eleganten jungen Frau von angenehmem Äußeren, die an seinem Arm ging und in der Catherine sofort seine Schwester vermutete – wodurch sie leichtfertig eine prachtvolleChance vertat, ihn für immer verloren zu wähnen, da verheiratet. Aber weil sie sich nur von dem hatte leiten lassen, was naheliegend und wahrscheinlich war, war es ihr nie in den Sinn gekommen, daß Mr. Tilney verheiratet sein könnte; er hatte sich nicht so verhalten oder geredet wie die verheirateten Männer in ihrer Bekanntschaft, und er hatte kein einziges Mal eine Ehefrau erwähnt, eine Schwester dagegen sehr wohl. Aus alledem folgerte sie augenblicklich, daß die Frau neben ihm seine Schwester sein mußte, und statt totenbleich zu werden und leblos an Mrs. Allens Busen zu sinken, saß Catherine ganz aufrecht da, ihrer Sinne vollkommen mächtig und mit höchstens ein klein wenig röteren Wangen als sonst.
Gleich hinter Mr. Tilney und seiner Begleiterin, die ihren Weg, wenn auch langsam, fortsetzten, kam eine Dame, eine Bekannte von Mrs. Thorpe; und da diese Dame stehenblieb, um mit Mrs. Thorpe zu sprechen, blieben auch die beiden anderen stehen, denn sie gehörten zusammen, und nun fing Catherine Mr. Tilneys Blick ein und wurde von ihm sogleich mit einem Lächeln des Wiedererkennens bedacht. Sie erwiderte es freudig; und indem er noch näher herankam, begrüßte er sie und Mrs. Allen, die sich gleich sehr verbindlich zeigte: »Wie bin ich froh, Sie wiederzusehen, Sir, wirklich; ich war schon in Sorge, Sie könnten Bath verlassen haben.« Er dankte ihr für ihre Besorgnis; er habe für eine Woche fortfahren müssen, gleich an dem Morgen, nachdem er das Vergnügen gehabt habe, ihre Bekanntschaft zu machen.
»Nun, Sir, und es wird Ihnen wohl kaum leid tun, zurück zu sein, denn es ist genau der rechte Ort für junge Leute – und überhaupt für jedermann. Wenn Mr. Allen klagt, wie satt er Bath hat, sage ich ihm auch immer, er tut unrecht daran, sich zu beschweren, denn es ist eine so überaus angenehme Stadt, daß es viel besser ist, diese öde Jahreszeit hier zu verbringen als daheim. Er hat großes Glück, daß er zur Kur hierhergeschickt worden ist, sage ich ihm.«
»Und ich hoffe, Ma’am, daß Mr. Allen bald gar nicht anders kann, als sich mit Bath auszusöhnen, weil er merkt, wie gut es ihm tut.«
»Danke, Sir. Das wird er ganz bestimmt. Ein Nachbar von uns, Dr. Skinner, war letzten Winter hier zur Kur und kam sehr gekräftigt wieder zurück.«
»Das zu wissen, muß eine große Ermutigung sein.«
»Ja, Sir – und Dr. Skinner und seine Familie waren drei Monate da, deshalb sage ich Mr. Allen immer, er braucht es gar nicht so eilig zu haben, wegzukommen.«
Hier wurden sie durch Mrs. Thorpe unterbrochen, die Mrs. Allen bat, ein Stückchen zur Seite zu rücken, denn Mrs. Hughes und Miss Tilney hatten eingewilligt, sich zu ihnen zu setzen. So geschah es; Mr. Tilney blieb weiter vor ihnen stehen, und nachdem einige Minuten vergangen waren, forderte er Catherine zum
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