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Northanger Abbey

Northanger Abbey

Titel: Northanger Abbey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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nicht mehr von der Spitze eines hohen Hügels, und ein klarer blauer Himmel war kein Indiz für gutes Wetter mehr. Sie schämte sich sehr für ihre Unwissenheit. Eine verfehlte Scham. Wer ein Herz gewinnen will, der sollte unbedingt unwissend sein. Gut unterrichtet antreten heißt sich um die Möglichkeit bringen, der Eitelkeit anderer zu schmeicheln, was ein vernünftiger Mensch unter allen Umständen vermeiden sollte. Gerade eine Frau, sollte sie das Unglück haben, nicht ganz dumm zu sein, tut gut daran, dies nach Kräften zu verschleiern.
    Die Vorteile natürlicher Unbedarftheit bei einem hübschen Mädchen sind bereits von der souveränen Feder einer Schriftstellerkollegin 22 dargelegt worden – und ihren Ausführungen will ich zur Verteidigung der Männer nur eines hinzufügen: daß nämlich, wiewohl für die größere und oberflächlichere Mehrheit ihres Geschlechts Beschränktheit einer der stärksten weiblichen Reize schlechthin ist, es doch auch einige gibt, die schlicht über zu viel Verstand und zu viel Wissen verfügen, um sich von einer Frau mehr zu wünschen als Unwissenheit. Aber Catherine ahnte nichts von ihrem Vorteil – ahnte nicht, daß ein nett aussehendes Mädchen mit einem liebevollen Herzen und einem ungeformten Geist, wenn nicht alles sich gegen sie verschworen hat, für einen gescheiten jungen Mann geradezu unwiderstehlich ist. Im vorliegenden Fall gestand und beklagte sie deshalb ihre Ungebildetheit; erklärte, daß sie alles darum geben würde, zeichnen zu können, und erhielt von Henry denn auch prompt eine Lektion über das Malerische, bei der seine Aussagen so klar waren, daß sie schon bald Schönheit in allem zu sehen begann, was er pries; und mit solch hingebungsvoller Aufmerksamkeit lauschte sie, daß es für ihn keine Zweifel an ihrem feinen natürlichen Geschmacksempfinden geben konnte. Er dozierte über Bildvordergrund, Bildhintergrund und Perspektive, Sichtachse und Goldenen Schnitt, Licht und Schatten; und eine so vielversprechende Schülerin war Catherine, daß sie, als sie den Gipfel des Beechen Cliff erreichten, freiwillig die gesamte Stadt Bath als unwürdig abstempelte, in ein Landschaftsbild aufgenommen zu werden. Entzückt über ihre Fortschritte, und besorgt, zu viel Weisheit auf einmal könnte sie überfordern, ließ Henry nach einer Weile von seinen Belehrungen ab; und in fließendem Übergang von einem Steinbrocken und dem von ihm darauf gepfropften welken Eichenzweig zu Eichen als solchen, Wäldern, deren Einhegung, Brachflächen, Staatsländereien sowie der Regierung kam er alsbald auf die Politik zu sprechen; und von der Politikwar der Weg zum Schweigen nicht weit. Die allgemeine Stille, die sich seiner kurzen Abhandlung über die Lage der Nation anschloß, wurde von Catherine beendet, die in recht feierlichem Ton folgendes vorbrachte: »In London ist ja demnächst etwas ganz und gar Haarsträubendes zu erwarten, habe ich gehört.«
    Miss Tilney, an die sich diese Worte im besonderen richteten, war bestürzt und erwiderte hastig: »Wirklich? – welcher Art denn?«
    »Das weiß ich nicht, und auch nicht, von wem. Ich habe nur gehört, daß es furchtbarer sein soll als alles, was wir bisher kennen.«
    »Gütiger Himmel! Und wo haben Sie das gehört?«
    »Eine sehr gute Freundin von mir hat gestern einen Brief aus London bekommen, in dem es stand. Es soll über die Maßen fürchterlich sein. Ich rechne mit Mord und allem, was sonst noch dazugehört.«
    »Sie sagen das erstaunlich gefaßt! Aber ich hoffe, der Brief an Ihre Freundin hat übertrieben – und wenn ein solches Komplott im voraus bekannt ist, wird die Regierung es doch zweifellos durch geeignete Maßnahmen zu unterbinden wissen.«
    »Die Regierung«, sagte Henry, der ein Lächeln unterdrückte, »würde sich niemals erkühnen, in einer solchen Angelegenheit einzuschreiten. Gemordet muß werden, und der Regierung ist es gleich, wie viel.«
    Beide Damen sahen ihn groß an. Er lachte und sagte: »Nun, soll ich zwischen euch beiden vermitteln, oder soll ich es euch überlassen, euch irgendeinen Reim darauf zu machen? Nein – ich will edelmütig sein. Ich will als ein rechter Mann handeln, groß von Seele und klar von Geist. Ich habe kein Verständnis für die Vertreter meines Geschlechts, die sich nicht wenigstens von Zeit zu Zeit auf das Niveau des euren hinabbegeben. Denn offenbar ist es ja wirklich so, daß das weibliche Denken weder solide noch scharf ist – weder fundiertnoch lebhaft. Offenbar

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