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Northanger Abbey

Northanger Abbey

Titel: Northanger Abbey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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kein Freundschaftsdienst sein. Auch der schlimmste Zorn des Generals konnte sie selbst nicht so schwer treffen, wie er eine Tochter treffen würde; ganz abgesehen davon, daß sie sich mehr von der Untersuchung versprach, wenn sie sie ohne Begleitung vornahm. Sie konnte Eleanor unmöglich den Verdacht unterbreiten, vor dem eine barmherzige Fügung sie bis jetzt offenbar verschont hatte, weshalb sie in ihrem Beisein auch schlecht nach den Beweisen für die Grausamkeit des Generals fahnden konnte. Denn daß sich Beweise, durch welchen Zufall sie einer Auffindung bislang auch entgangen sein mochten, zutage fördern ließen, daran zweifelte sie nicht – irgendwelche Tagebuchfragmente vielleicht, von der Sterbenden mit letzter Kraft aufs Papier geworfen. Den Weg zu dem Zimmer kannte sie inzwischen in- und auswendig; und da sie die Sache erledigt wissen wollte, bevor morgen Henry zurückkam, galt es keine Zeit zu verlieren. Der Tag war schön, ihr Mut groß; jetzt um vier stand die Sonne noch ganze zwei Stunden am Himmel, und es würde einfach so aussehen, als zöge sie sich eine halbe Stunde früher als sonst zum Umkleiden zurück.
    Gesagt, getan, und noch ehe der Schlag der Uhren verklungen war, fand Catherine sich allein in der Galerie. Zum Abwägen blieb keine Zeit; sie eilte weiter, schlüpfte so leisewie möglich zwischen den Flügeltüren hindurch, und ohne sich auch nur umzuschauen oder Atem zu schöpfen, hastete sie voran zu der fraglichen Tür. Der Knauf gab unter ihrer Hand nach – gottlob ohne unheilverkündendes Ächzen, das einem Menschen angst machen mußte. Auf Zehenspitzen trat sie ein; das Zimmer lag vor ihr; aber Minuten vergingen, ehe sie den Fuß weiter hineinzusetzen vermochte. Sie stand wie gelähmt … ihre Züge versteinerten. Der Raum vor ihr war groß und gutgeschnitten, mit einem schönen, unbenutzten Bett mit Kissen aus geköperter Baumwolle, die die sorgliche Hand eines Hausmädchens drapiert hatte, einem blanken Bath-Kamin, Mahagonischränken und schön lackierten Stühlen, alles freundlich beschienen von den warmen Strahlen der Nachmittagssonne, die durch zwei Schiebefenster fiel! Catherine hatte sich für eine aufwühlende Erfahrung gewappnet, und die bekam sie. Verblüffung und Zweifel brachen als erstes über sie herein, dem ließ ein gleich darauf aufblitzendes Fünkchen gesunden Menschenverstands bittere Beschämung folgen. In der Tür geirrt hatte sie sich gewiß nicht, dafür aber um so schändlicher in allem anderen – in ihrer Deutung von Miss Tilneys Worten, in ihren eigenen Schlußfolgerungen! Dieses Zimmer, dem sie ein solches Alter und eine so schreckenerregende Lage unterstellt hatte, erwies sich als das eine Ende des Trakts, den der Vater des Generals erbaut hatte. Es waren noch zwei weitere Türen im Raum, hinter denen sich vermutlich Ankleidekammern verbargen, aber sie verspürte keinerlei Neigung, eine davon zu öffnen. Konnten der Schleier, den Mrs. Tilney bei ihrem letzten Gang umgenommen, oder das Buch, in dem sie als letztes gelesen hatte, noch da sein, um herauszuposaunen, wovon alles andere schweigen mußte? Nein: welche Verbrechen der General auch auf sich geladen hatte, er war viel zu schlau, um so leichtfertig die Entdeckung zu riskieren. Catherine war das Kundschaften leid und sehnte sich nur mehr zurück in ihr Zimmer, wo der einzige Zeuge ihrer Torheit ihr eigenesHerz sein würde; und sie wollte sich gerade so sachte wieder fortstehlen, wie sie gekommen war, als ein Schritt erklang, sie hätte kaum zu sagen vermocht, wo, und sie zitternd erstarrte. Schlimm genug, von einem Dienstboten hier ertappt zu werden – doch wie viel schlimmer noch, vom General selbst (der immer dann zur Stelle schien, wenn man ihn am wenigsten brauchte)! – Sie lauschte – das Geräusch war verstummt; und entschlossen, keine Sekunde zu verlieren, huschte sie auf den Korridor hinaus und schloß die Tür. In diesem Moment wurde eine Tür im Erdgeschoß eilig geöffnet; jemand kam mit raschen Schritten die Wendeltreppe herauf, an der sie vorbeimußte, um die Galerie zu erreichen. Sie konnte kein Glied rühren. Mit einem unklaren Gefühl des Grauens starrte sie auf die Mündung der Treppe, und nach nur wenigen Augenblicken kam Henry in Sicht. »Mr. Tilney!« rief sie mit einer Stimme, in der mehr als ein normales Maß an Verblüffung schwang. Auch er schaute verblüfft. »Großer Gott!« fuhr sie fort, bevor er etwas sagen konnte, »wie kommen Sie denn hierher? – Wieso kommen Sie

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