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Northanger Abbey

Northanger Abbey

Titel: Northanger Abbey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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schüttelte sie den Kopf), »oder – am Ende sogar auf etwas noch Unverzeihlicheres.« Sie begegnete seinem Blick direkter als bis dahin. »Die Krankheit meiner Mutter«, fuhr er fort, »der Anfall, der zu ihrem Tod führte, kam in der Tat plötzlich. Das Leiden selbst, das ihr schon häufig zuschaffen gemacht hatte, war ein Gallenfieber und somit Veranlagung. Am dritten Tag, sprich, sobald man sie dazu bewegen konnte, wurde nach dem Arzt geschickt, einem hochrespektablen Mann, der ihr volles Vertrauen besaß. Er erklärte ihren Zustand für kritisch, weshalb am Tag darauf zwei weitere Ärzte hinzugezogen wurden, die vierundzwanzig Stunden lang fast unausgesetzt bei ihr waren. Am fünften Tag starb sie. Während ihrer Krankheit durften Frederick und ich (denn
wir
waren beide zu Hause) regelmäßig zu ihr und konnten mit eigenen Augen sehen, daß alles für sie getan wurde, was die Liebe und Fürsorge der Ihren nur leisten konnte und was ihr Stand vermochte. Die arme Eleanor war zu der Zeit fort, das stimmt, und zwar so weit fort, daß sie ihre Mutter erst im Sarg wiedergesehen hat.«
    »Aber Ihr Vater«, sagte Catherine, »hat es ihn getroffen?«
    »Eine Zeitlang sogar sehr. Sie irren sich, wenn Sie denken, daß ihm nichts an ihr lag. Er hat sie so geliebt, wie es ihm gegeben war, dessen bin ich ganz sicher. – Nicht alle von uns sind schließlich gleich gefühlvoll veranlagt – und ich will nicht so tun, als hätte sie es zu ihren Lebzeiten nicht manchmal recht schwer gehabt, aber auch wenn er ihr durch seine Launen unrecht getan hat, durch sein Urteil hat er es nie. Seine Achtung vor ihr war echt, und ihr Tod hat ihn, wenn auch nicht bleibend, so doch tief getroffen.«
    »Da bin ich froh«, sagte Catherine, »es wäre zu schrecklich gewesen …«
    »Wenn ich Sie recht verstehe, hatten Sie einen Verdacht gefaßt, der so schauerlich ist, daß mir fast die Worte fehlen, um … Liebe Miss Morland, machen Sie sich klar, welche Furchtbarkeit Sie da unterstellt haben! Wovon sind Sie ausgegangen? Bedenken Sie, in welchem Land und zu welcher Zeit wir leben. Bedenken Sie, daß wir Engländer sind, daß wir Christen sind. Befragen Sie Ihren eigenen Verstand, Ihren eigenen Realitätssinn, Ihre eigene Wahrnehmung dessen, was rund um Sie vorgeht. Bereitet unsere Erziehung etwa denBoden für solche Greuel? Lassen unsere Gesetze sie zu? Könnten sie je unentdeckt verübt werden – in einem Land wie dem unsrigen, wo der gesellschaftliche und geistige Austausch so großgeschrieben wird – wo ein jeder umzingelt ist von einem Heer freiwilliger Spione und wo Straßen und Zeitungen alles und jedes an den Tag bringen? Liebste Miss Morland, was für Ideen haben Sie sich überlassen?«
    Sie waren am Ende der Galerie angelangt, und unter Tränen der Scham stürzte sie davon in ihr Zimmer.

X. KAPITEL
    Vorbei die romantischen Allüren. Catherine war jäh auf den Boden zurückgekehrt. Henrys Ansprache, so bündig sie war, öffnete ihr gründlicher die Augen über die Verstiegenheit ihrer Hirngespinste als all die Enttäuschungen, die sie damit erlitten hatte. Wie tief war sie erniedrigt. Wie bitterlich weinte sie. Sie hatte sich ja nicht nur vor sich selbst zum Gespött gemacht, sondern auch vor Henry. Ihre Torheit – die ihr jetzt ganz und gar sträflich vorkam – lag offen vor ihm zutage, und er mußte sie auf ewig dafür verachten. Die Phantasien, die sie um den Charakter seines Vaters zu spinnen gewagt hatte – würde er sie jemals verzeihen können? Die Absurdität ihrer Neugier und ihrer Ängste – ließ sie sich jemals vergessen? Er hatte … doch, ein- oder zweimal vor diesem verhängnisvollen Moment hätte sie fast meinen mögen, er habe sie ein bißchen gern. Jetzt aber … Kurzum, sie quälte sich etwa eine halbe Stunde aufs entsetzlichste, ging Schlag fünf mit einem gebrochenen Herzen nach unten und vermochte auf Eleanors Frage, ob ihr etwas fehle, kaum eine verständliche Antwort zu geben. Nicht lang, dann erschien auch der gefürchtete Henry, und das einzig Auffällige an seinem Verhalten war, daß er sich ihr eher mehr widmete als sonst. Wohl nie hatte Catherine so sehr des Trostes bedurft wie jetzt, und es war, als verstünde er dies.
    Seine wohltuende Freundlichkeit ließ den ganzen Abend über nicht nach, und allmählich ergriff eine zaghafte Erleichterung von ihr Besitz. Nicht, daß sie das Geschehene hätte vergessen oder rechtfertigen können, aber in ihr wuchs die Hoffnung, daß kein Dritter davon erfahren

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