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Northanger Abbey

Northanger Abbey

Titel: Northanger Abbey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Austen
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würde und daß essie womöglich doch nicht Henrys gesamte Zuneigung gekostet hatte. Dennoch kehrten ihre Gedanken immer wieder zurück zu dem, was sie aus solch grundloser Furcht heraus gefühlt und getan hatte, und bald sah sie sonnenklar, daß es von Anfang bis Ende eine freiwillige, selbstverschuldete Täuschung gewesen war, bei der jede harmlose Kleinigkeit von einer aufgeheizten Phantasie hochgespielt und alles, was ihr begegnete, umgemünzt worden war von einer Wahrnehmung, die schon vor ihrer Ankunft in der Abtei nach Ängstigung gegiert hatte. Sie erinnerte sich, mit welchen Empfindungen sie sich auf die Bekanntschaft mit Northanger eingestellt hatte. Ganz deutlich sah sie, daß die Verblendung schon eingesetzt, das Unheil schon seinen Lauf genommen hatte, ehe sie aus Bath abgereist war, und ihr schien, daß das Ganze auf den Einfluß jener Bücher zurückzuführen sei, in deren Lektüre sie dort so geschwelgt hatte.
    So reizvoll sich sämtliche von Mrs. Radcliffes Werken auch lasen, und die ihrer sämtlichen Nachahmer dazu: ein Abbild der menschlichen Natur, zumindest der menschlichen Natur in den Grafschaften Mittelenglands, suchte man darin im Zweifel vergebens. Von den Alpen und den Pyrenäen mit ihren Nadelwäldern und ihrer Verderbtheit zeichneten sie womöglich ein getreues Bild, und Italien, die Schweiz und Südfrankreich mochten tatsächlich so strotzen von Schrecken, wie in ihnen behauptet wurde. Skepsis außerhalb ihrer Landesgrenzen wagte sich Catherine nicht zu erlauben, und selbst innerhalb hätte sie zur Not den äußersten Norden und Westen drangegeben. Aber hier, im Herzen von England, mußte das Leben selbst der ungeliebtesten Gattin durch die Gesetze des Landes und die Gebräuche der Zeit doch halbwegs geschützt sein! Mord wurde nicht geduldet, Dienstboten waren keine Sklaven, und weder Gift noch ein Schlaftrunk ließen sich von jedem Apotheker beziehen, als sei es Rhabarbertinktur. In den Alpen und den Pyrenäen gab es vielleicht wirklich nur Schwarz oder Weiß. Dort mochte jeder, der nicht rein wie einEngel war, gleich ein ausgemachter Teufel sein. Aber nicht hier in England: bei den Engländern, in den Herzen und Handlungen der Engländer, schien ihr eine generelle, wenn auch ungleiche Mischung von Gut und Böse gegeben. So betrachtet durfte es sie am Ende nicht einmal wundern, wenn selbst bei Henry oder Eleanor Tilney eines Tages die eine oder andere leichte Unvollkommenheit zutage träte; und so betrachtet brauchte sie sich auch nicht zu scheuen, einige tatsächliche Flecken auf dem Charakter ihres Vaters festzustellen, den so schändlich verdächtigt zu haben sie sich zwar zeit ihres Lebens schämen würde, aber der, wenn sie ernsthaft mit sich zu Rate ging, schlicht kein sonderlich netter Mensch war.
    Nachdem sie all diese Punkte soweit entschieden und den Vorsatz gefaßt hatte, ab sofort stets mit der größten Umsicht zu urteilen und zu handeln, blieb ihr nichts weiter zu tun, als sich zu verzeihen und glücklicher denn je zu sein; und die heilende Wirkung der Zeit tat im Lauf des nächsten Tages in unmerklichen Schritten das ihre. Die erstaunliche Großzügigkeit und Noblesse, mit der Henry sich noch die leiseste Anspielung auf das Vorgefallene verbot, half ihr sehr dabei; und viel früher, als sie sich das zu Beginn ihres Unglücks je hätte vorstellen können, fühlte sie sich wieder völlig getrost und mithin imstande, durch jede Äußerung aus Henrys Mund dazuzulernen wie bisher. Einige Themen gab es zwar noch, vor denen sie zeitlebens zittern würde – die Erwähnung einer Truhe oder eines Dokumentenschranks etwa –, und auch Lackarbeiten in jeglicher Form sah sie nur ungern; doch selbst sie mußte sich eingestehen, daß eine gelegentliche Erinnerung an vergangene Torheit, wenngleich schmerzhaft, durchaus von Nutzen sein konnte.
    Schon bald traten an die Stelle der großen Dramen wieder alltäglichere Sorgen. Catherine sehnte sich zunehmend nach Nachricht von Isabella. Sie brannte darauf, zu erfahren, was sich in Bath so zutrug, wie die Bälle besucht waren, und vor allem wollte sie sich darüber vergewissern, daß Isabella dieseshauchdünne Knüpfgarn hatte nachkaufen können, auf das sie so erpicht gewesen war, und daß zwischen ihr und James alles zum besten stand. Außer von Isabella konnte sie sich von niemandem Auskunft erwarten: James war nicht bereit gewesen, vor seiner Rückkehr nach Oxford von sich hören zu lassen, und auch Mrs. Allen hatte ihr keine Hoffnungen

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