Northanger Abbey
Eleanor zuliebe versuchte sie es überhaupt. »Ich kann nur sagen«, sagte sie, »daß es mir sehr leid tut, wenn ich ihn erzürnt habe. Das ist das letzte, was ich gewollt hätte. Aber seien Sie nicht traurig, Eleanor. Eine Verabredung muß schließlich eingehalten werden. Es ist nur schade, daß ich es nicht ein wenig früher wußte, so daß ich nach Hause hätte schreiben können. Aber letztlich spielt das ja keine Rolle.«
»Ich hoffe, ich hoffe aus tiefstem Herzen, daß es für Ihre Sicherheit keine spielt, aber für alles andere spielt es sehr wohl eine – für Ihre Bequemlichkeit, für Ehre und Anstand, für Ihre Familie, Ihr Ansehen vor der Welt. Wenn wenigstens Ihre Freunde, die Allens, noch in Bath wären … zu ihnen könnten Sie leichter gelangen, in ein paar Stunden nur. Aber eine Strecke von siebzig Meilen mit der Postkutsche, ein so junges Mädchen, allein, ohne Begleitung!«
»Ach, die Strecke ist nicht der Rede wert. Machen Sie sich keine Gedanken deswegen. Und wenn wir uns schon trennen müssen, kommt es auf ein paar Stunden hin oder her auch nicht mehr an. Ich bin um sieben Uhr fertig. Lassen Sie michnur rechtzeitig rufen.« Eleanor konnte sehen, daß sie allein sein wollte, und da es ihr klüger für sie beide schien, wenn sie nicht weiterzureden versuchten, verließ sie sie mit einem »Dann bis morgen früh«.
Catherines Herz barst schier. In Eleanors Beisein hatten Freundschaft und Stolz ihre Tränen gleichermaßen zurückgehalten, aber kaum war die Freundin aus der Tür, als sie auch schon zu strömen begannen. Aus dem Haus gejagt, und auf solche Art! – Ohne irgendeine Rechtfertigung, irgendeine Entschuldigung, die versöhnt hätte mit der Abruptheit, der Rücksichtslosigkeit, nein, der Unverschämtheit des Ganzen. Henry weit fort – so daß sie ihm nicht einmal Lebwohl sagen konnte. Jede Hoffnung, jede Erwartung an ihn im Ungewissen, wenn nicht Schlimmeres, und wer konnte sagen, auf wie lange? – Wer konnte wissen, wann sie sich wiedersehen würden? – Und all das durch einen Mann wie General Tilney, so zuvorkommend, so geschliffen in seinem Benehmen, der bis eben noch so viel für sie übrig gehabt hatte! Es war so unbegreiflich, wie es demütigend und bitter war. Was dahintersteckte und was daraus entstehen mochte, diese Fragen machten sie beide gleich ratlos und bang. Alles daran schien so unglaublich rüde: sie fortzuschicken, ohne ihr jede Mitsprache einzuräumen, ohne sie wenigstens zum Schein Zeitpunkt und Umstände bestimmen zu lassen; von zwei möglichen Tagen den früheren zu wählen, und noch dazu fast zur frühestmöglichen Stunde, als müsse sie um jeden Preis aus dem Haus sein, ehe er aufstand, damit sie ihm nur ja nicht unter die Augen kam … Wie ließ sich das deuten, wenn nicht als vorsätzlicher Affront? Es konnte nicht anders sein, sie mußte ihn durch irgend etwas erzürnt haben. Eleanor hatte ihr eine so schmerzliche Vermutung ersparen wollen, aber Catherine wußte nicht, wie irgendeine Kränkung oder ein Mißgeschick derartige Feindseligkeit gegen einen Menschen hervorbringen sollte, den keine Schuld daran traf oder dem sie nicht zumindest unterstellt wurde.
Es wurde eine schlimme Nacht. An Schlaf oder eine Ruhe, die den Namen verdient hätte, war nicht zu denken. Zum zweiten Mal wurde dieses Zimmer, in dem ihre aufgewühlte Phantasie ihr in der Ankunftsnacht solche Folterqualen bereitet hatte, zum Schauplatz inneren Aufruhrs und unruhiger Träume. Doch aus welch anderer Quelle speiste sich diese jetzige Unruhe – wie betrüblich überlegen war sie der damaligen an Gewicht und Gehalt! Catherines Bangigkeit gründete sich nun auf Tatsachen, ihre Befürchtungen auf Wahrscheinlichkeit; und so ausschließlich, wie ihre Gedanken um ein reales, natürliches Übel kreisten, erlebte sie die Abgeschiedenheit ihres Quartiers, die Dunkelheit ihres Zimmers und das Alter des Gemäuers ohne die geringste Gefühlsregung; und obwohl ein starker Wind wehte und von überallher sonderbare und unerwartete Geräusche tönten, hörte sie all dies, während sie Stunde um Stunde wach lag, ohne Neugier und ohne Schrecken.
Kurz nach sechs erschien Eleanor, um ihr zu helfen und gefällig zu sein, wo es nur ging; aber es blieb kaum etwas zu tun. Catherine war nicht müßig gewesen; sie war fast vollständig angekleidet und hatte fast alles gepackt. Vielleicht sandte ihr der General ja eine versöhnliche Botschaft, schoß es ihr beim Anblick seiner Tochter durch den Kopf. Was konnte
Weitere Kostenlose Bücher