Northanger Abbey
mit einer langen und innigen Umarmung; als sie aber in die Eingangshalle hinaustraten, brachte sie es doch nicht über sich, das Haus ohne jede Erwähnung des einen zu verlassen, dessen Name bisher nicht zwischen ihnen gefallen war, und so hielt sie einen Moment inne und trug Eleanor mit zitternden Lippen »die bestenGrüße an ihren abwesenden Freund« auf. Mit dieser Beinahe-Nennung seines Namens freilich war es um ihre Beherrschung endgültig geschehen, und indem sie das Gesicht so gut es ging in ihrem Taschentuch verbarg, floh sie aus der Halle, sprang in den Wagen, und Sekunden später rollte dieser mit ihr davon.
XIV. KAPITEL
Catherine litt zu sehr, um sich zu fürchten. Die Fahrt selbst machte ihr keine Angst; weder ihre Länge noch die Einsamkeit schreckten sie. Wild schluchzend in eine Ecke der Kutsche gedrückt, war sie schon mehrere Meilen von den Toren der Abtei entfernt, ehe sie den Kopf hob; selbst die höchste Erhebung des Parks versank bereits hinter dem Horizont, als sie die Kraft fand, sich danach umzudrehen. Unglücklicherweise war die Straße, auf der sie fuhr, dieselbe, die sie vor nur zehn Tagen auf ihrem Weg nach und von Woodston so froh entlanggerollt war; und über vierzehn Meilen hinweg wurde ihr Schmerz immer bitterer, je mehr Dinge dort draußen vorbeizogen, auf die sie neulich in solch anderer Stimmung geblickt hatte. Jede Radlänge, die sie Woodston näher brachte, verschlimmerte ihr Elend noch, und als sie fünf Meilen vor Woodston die Abzweigung passierte und an Henry dachte, der so nah war und doch so ahnungslos, wußte sie nicht aus noch ein vor Kummer und Fassungslosigkeit.
Der Tag dort war mit der schönste in ihrem Leben gewesen. Und es war dort gewesen, an ebenjenem Tag, daß der General in einer Art auf Henry und sie angespielt hatte, mit solchen Bemerkungen, solchen Blicken, daß sie sich nichts anderes vorstellen konnte, als daß er sie zusammenbringen wollte. Ja, vor nur zehn Tagen hatte er sie in einem Maße umschmeichelt, daß es ihr fast zu Kopfe gestiegen war – sie ganz verlegen gemacht mit seinen vielsagenden Andeutungen! Und nun – was hatte sie nur getan, was verabsäumt, um eine solche Wendung herbeizuführen?
Das einzige Vergehen gegen ihn, das sie sich vorzuwerfen hatte, war so geartet, daß er davon schwerlich etwas ahnen konnte. Nur Henry und ihr eigenes Herz wußten von dem fürchterlichen Verdacht, den sie so leichtfertig gehegt hatte; und bei beiden schien ihr Geheimnis ihr gleich gut aufgehoben. Mit Absicht hatte Henry sie ganz gewiß nicht verraten. Sollte freilich sein Vater durch irgendeinen unseligen Zufall dahintergekommen sein, was sie zu denken, wonach sie zu suchen gewagt hatte – sollte er Kenntnis haben von ihren bodenlosen Unterstellungen und schändlichen Expeditionen, dann durfte noch der schlimmste Zorn sie nicht wundern. Nein, wenn er wußte, daß sie in ihm einen Mörder gesehen hatte, mußte sie sich auch nicht wundern, wenn er sie vor die Tür setzte. Aber eine Rechtfertigung, die derart quälend für sie war, konnte er doch unmöglich haben!
So bang ihre Vermutungen freilich um diesen Punkt kreisten, etwas anderes beschäftigte sie noch mehr. Einen Gedanken gab es, der noch näherlag, eine noch drängendere, noch heftigere Sorge. Wie Henry denken und empfinden und dreinschauen würde, wenn er morgen nach Northanger zurückkam und sie fort war, das war eine so verzehrende, brennende Frage, daß alles andere davor verblaßte – eine nie verstummende Frage, die Catherine bald aufwühlte, bald beschwichtigte, sie im einen Moment marterte mit dem Schreckbild seines ruhigen Sich-Fügens und im nächsten aufatmen ließ in süßestem Vertrauen auf seinen Kummer und seine Empörung. Dem General gegenüber würde er davon natürlich nichts zu äußern wagen; aber zu Eleanor – was mochte er zu Eleanor nicht alles über sie sagen!
Über diesem unablässigen Hin und Her von Ungewißheiten und Fragen, die sich in ihrem Hirn jagten, ohne daß sie mehr als momentlang bei einer davon hätte verweilen können, gingen die Stunden dahin, und ihr Ziel rückte viel schneller näher als erwartet. Die angstvollen Grübeleien, die sie, nachdem Woodston einmal passiert war, blind machtenfür ihre ganze Umgebung, hielten sie gleichzeitig davon ab, die Meilen zu zählen; und wenn auch nichts auf ihrem Weg sie im mindesten fesseln konnte, langweilte sie sich doch keine Sekunde. Davor bewahrte sie noch ein anderer Umstand: sie sehnte das Ende ihrer Reise
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