Northanger Abbey
nicht herbei. So nach Fullerton zurückkehren zu müssen verdarb ihr ganz das Wiedersehen mit den Menschen, die sie am meisten liebte, selbst nach einer so langen Trennungszeit – elf Wochen. Was konnte sie schon sagen, das nicht demütigend für sie selbst und schmerzlich für ihre Familie wäre; das nicht ihren eigenen Kummer durch dessen Eingeständnis vermehrte, unnütze Bitterkeit auslöste und vielleicht noch die Unschuldigen zugleich mit den Schuldigen in Ungnade stürzte? Niemals würde sie Henry und Eleanor durch ihre Beschreibung gerecht werden; ihre Gefühle waren zu stark für Worte; und sollte eine Abneigung gegen die beiden gefaßt werden, sollte das Verhalten ihres Vaters auch sie in ein schlechtes Licht rücken, dann würde es ihr das Herz brechen.
Angesichts solcher Gedanken wartete sie eher beklommen als sehnsüchtig auf den ersten Anblick des wohlbekannten Kirchturms, das Zeichen dafür, daß es bis nach Hause nur noch zwanzig Meilen waren. Ihr Ziel war Salisbury, in diesem Wissen war sie von Northanger aufgebrochen; aber nach der ersten Etappe hatte sie sich auf die Postmeister verlassen müssen, um die Ortsnamen auf dem Weg dorthin zu erfahren, so wenig war sie über die Strecke im Bild. Ihr widerfuhr jedoch nichts Mißliches oder Beunruhigendes. Ihre Jugend, ihre freundliche Art und großzügige Entlohnung sicherten ihr all die Zuvorkommenheit, die eine Reisende wie sie sich wünschen kann; und ohne einen anderen Aufenthalt als zum Wechseln der Pferde fuhr sie gut elf Stunden ohne Zwischenfall oder Gefahr, und zwischen sechs und sieben Uhr abends kam sie in Fullerton an.
Eine Romanheldin, die am Ende ihrer Laufbahn ins heimatliche Dorf zurückkehrt, bestrahlt vom Glorienschein ihreswiederhergestellten Rufs und ihrer neuen Herzoginnenwürde und gefolgt von einem langen Troß vornehmer Verwandter in zahlreichen Phaetons sowie einer vierspännigen Reisekutsche mit drei Kammerzofen darin, das ist ein Ereignis, bei dem die Feder der Autorin genußvoll verweilt; es gereicht jedem Romanschluß zur Ehre, und seiner Schöpferin gebührt Anteil an dem Glanz, den sie so freigebig über alle ausgießt. – Aber bei mir sieht die Sache anders aus; ich bringe meine Heldin einsam und ehrlos nach Hause zurück, und keine süßen Triumphgefühle können mich zur Ausführlichkeit verleiten. Eine Heldin in einer Mietkutsche, das ist ein solcher Schlag ins Gesicht der Empfindsamkeit, daß jede große Geste, jedes Pathos davor verpufft. In aller Eile soll darum ihr Postillion sie unter den Blicken sonntäglicher Spaziergänger durchs Dorf kutschieren, und blitzschnell soll sie aus dem Verschlag klettern.
Doch wie groß auch Catherines Beklemmung, als sie sich so dem Pfarrhaus näherte, und wie tief die Erniedrigung ihrer Chronistin, die darüber berichten muß: den Menschen, zu denen sie unterwegs war, machte sie damit ein Geschenk ganz besonderer Art, erst durch den Anblick ihrer Kutsche und dann durch ihre eigene Person. Nach Fullerton verirrten sich nicht viele Reisekutschen, weshalb gleich alle zum Fenster stürzten; und daß diese hier auch noch vor dem Auffahrtstor hielt, war eine Freude, die Augen zum Leuchten und Erwartungen zum Schwelen brachte – eine Freude, mit der keiner gerechnet hatte außer den beiden Kleinsten, ein Junge und ein Mädchen von sechs und vier Jahren, die sich in jeder Kutsche einen Bruder oder eine Schwester erhofften. Glücklich das Augenpaar, das als erstes Catherine erkannte! Glücklich der Mund, der die Entdeckung als erstes herausschrie! – Doch ob solches Glück von Rechts wegen George oder Harriet zukam, war nicht mit letzter Gewißheit zu ermitteln.
Vater, Mutter, Sarah, George und Harriet, alle schon ander Tür versammelt, um sie stürmisch zu begrüßen: dieser Empfang wärmte Catherines Herz doch sehr; und umschlungen von ihnen allen fühlte sich die frisch der Kutsche Entstiegene in einem Maße getröstet, das sie niemals für möglich gehalten hätte. Solcherart umdrängt und liebkost war sie sogar glücklich! Im Überschwang der Familiengefühle rückte alles für eine kurze Zeit in die Ferne, und da die Wiedersehensfreude den anderen vorerst wenig Muße für ruhige Wißbegierde ließ, saßen sie alle um den Teetisch versammelt, den Mrs. Morland rasch für die arme Reisende hatte decken lassen – denn daß sie blaß und abgekämpft aussah, fiel ihr bald auf –, ehe irgendeine Frage an Catherine gestellt wurde, die so direkt war, daß sie um eine Antwort nicht
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