Nosferatu 2055
Schon diese beiden Worte reichten aus, um die Seltsamkeit seiner Stimme erkennen zu lassen. Der Name klang irgendwie falsch, aber jeder Zuhörer hätte Schwierigkeiten gehabt, den Finger auf das zu legen, was falsch war. Die Worte klangen wie aus einem Stimmensynthesizer, der nicht ganz perfekt klang, weil es sein Besitzer absichtlich unterlassen hatte, die Feineinstellungen vorzunehmen.
»Ich habe dich vermißt«, sagte Luther, indem er das Buch aus den Händen gleiten ließ.
Martin Matthäus spürte, wie ihn eine Welle der Erleichterung überflutete. Er diente diesem großartigen Mann jetzt seit über einem Jahrhundert, und er hatte in all dieser Zeit nie etwas von ihm gehört, das einer echten Gefühlsregung so nah kam wie das, was er ihn soeben hatte äußern hören. Es war mehr, als er verdiente.
»Es gibt viel zu tun«, sagte Luther schlicht. Er stand auf, fuhr sich mit gekrümmten Fingern über die Schläfen und spitz zulaufenden Ohren, strich sich über den schlanken Schädel. »Du mußt dich um das Kopieren der Daten von den Ausscheidungswettkämpfen der Nongoma kümmern. Ich brauche die Daten spätestens übermorgen früh. Es ist bedauerlich, daß ich gezwungen war, so drastische Maßnahmen zu ergreifen.«
Panik wallte in Martin auf. Bisher hatte Luther noch niemanden für die mißlungene Entführung bestraft. Er mußte auf den geeigneten Augenblick warten. Martin hatte nichts damit zu tun, aber er wußte ganz genau, daß es Luther ein Vergnügen sein würde, seinem Sadismus Launenhaftigkeit hinzuzufügen, wenn sich seine eisige Wut bis zum Punkt körperlicher Aktion gesteigert haben würde. Und nach Heidelberg würde Luthers Wut gestiegen sein. Zwei ernsthafte Fehlschläge in einem Monat verlangten nach einem Opfer, vielleicht auch mehr als einem. Der entscheidende Augenblick würde kommen, wenn Luther sich gesättigt hatte, wenn seine Energie groß war und er innerlich brannte. Aber dann würde Martin tief in die Computer und Datenbanken versunken sein, und Luther würde nicht kommen und nach ihm suchen.
»Wenn du fertig bist, komm hierher zurück«, sagte Luther in bedrohlichem Tonfall, der Martins Besorgnis vorübergehend noch steigerte. Glücklicherweise wurde sie durch seine nächsten Worte gleich wieder beschwichtigt.
»Ich glaube, wir müssen die Amerikaner überwachen«, fuhr Luther fort. »Ich bezweifle, daß sie jetzt schon offen aktiv werden. Aber sie könnten eine Art Spion schicken. Höchstwahrscheinlich werden sie versuchen, in unsere Matrixsysteme zu decken. Ich wünsche, daß wir gemeinsam die Sicherheitsvorkehrungen durchgehen.«
»Ja, Euer Gnaden«, erwiderte Martin dankbar. Das bedeutete für ihn noch mehr Arbeit, aber es bedeutete auch Sicherheit, nicht zuletzt deswegen, weil er sich im Computerlabor einschließen und seine Zurückgezogenheit mit Sicherheitsgründen rechtfertigen konnte. Natürlich würden die Schlösser Luther nicht aufhalten, aber wenn er in einem Wutanfall auf Martin losging, hielten sie ihn vielleicht lange genug auf, um ihn abzukühlen. Martin kannte alle Anzeichen, die einem Anfall von Raserei bei Luther vorausgingen, und er konnte erkennen, daß er heute nacht einen ziemlich mächtigen Anfall bekommen würde.
»Ist das einstweilen alles, Euer Gnaden?« sagte er hoffnungsvoll. Luther entließ ihn mit einem Winken seiner Hand. Martin verbeugte sich, als er ging, dann machte er sich eilig an den Abstieg in die alten Gewölbe.
Luther hustete trocken, strich seinen Anzug glatt und korrigierte den Sitz seiner schwarzen Krawatte. Schließlich mußte er zu einer Beerdigung.
Michael kam wieder zu sich, während Trolle auf den Amboß einhämmerten, der sein Schädel war, gerade als sich die Tür öffnete. Serrin und Tom fanden ihn auf den Knien vor, da er immer noch aufzustehen versuchte. Seine Augen waren blutunterlaufen, und sein Gesicht war totenbleich. Tom eilte zu ihm, um ihm zu helfen. Er faßte Michael unter den Armen und zog ihn mit lächerlicher Leichtigkeit hoch.
»Mach keinen Tanz mit Gesang daraus, alter Junge«, scherzte Michael schwach. Er spürte die heilenden Hände des Schamanen, als heilende Kräfte durch den Troll flossen. Die Schwäche verging, und seine Kopfschmerzen ließen nach, bis er anstelle des heftigen Pulsierens, mit dem er erwacht war, nur noch ein dumpfes Pochen spürte. Er holte tief Luft und schüttelte den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen.
»Es geht mir gut. Meine Software, um mich automatisch auszustöpseln, muß die
Weitere Kostenlose Bücher