Nosferatu 2055
wenn sie glaubt, daß es ein Almosen ist. Und was du auch tust, biete ihr kein Geld an. Das würde sie dir nie verzeihen.«
»Hältst du es für ungefährlich, auf die Straße zu gehen?« fragte Serrin besorgt.
»Ich glaube nicht, daß man dich am hellichten Tag auf den Hauptgeschäftsstraßen entführen wird. Nach allem, was ich in Erfahrung gebracht habe, finden die Entführungen immer nachts und/oder in irgendeiner dunklen Ecke statt. Diese Leute gehen keine unsinnigen Risiken ein.«
Im Taxi zum Berg brütete Michael über die Namensliste nach. Die Codesymbole, die einige der Namen auf der Liste von den anderen unterschied, gaben ihm Rätsel auf. Sie mußten etwas zu bedeuten haben, aber er mußte noch herausfinden, was. Das Problem war, daß ihn alle offensichtlichen Ansätze nicht weiterbrachten. Es war verwirrend, daß nur einer der Namen zu einer Frau gehörte, aber das schien nicht viel zu bedeuten. Nichts unterschied sie von einer Handvoll anderer ganz gewöhnlicher Leute auf der Liste. Und wer würde schon jemanden aus dem Squeeze entführen wollen, Londons ärmstem und heruntergekommenstem Stadt teil? Drek, es war schon beinahe unmöglich, Informationen über diese Leute zu bekommen. Die Hälfte von ihnen war nicht einmal in den Datenbanken der britischen Regierung gespeichert. Einige der Namen schlossen Lösegeld als Entführungsmotiv aus, aber die Tatsache, daß keine der entführten Personen je wieder aufgetaucht war, sprach ohnehin Bände. Ganz zu schweigen davon, daß es keine polizeilichen Vermerke hinsichtlich Lösegeldforderungen gab, wenngleich das auch damit Zusammenhängen konnte, daß die Polizei aus Angst nicht informiert worden war. Aber in keinem Fall?
Er gab auf. Zu seiner großen Erleichterung sah er Tom gerade aus der Seilbahn steigen, als das Taxi an der Station hielt. Michael gab dem Fahrer ein paar Scheine, rief ihm zu, er solle ein paar Minuten warten, um dann aus dem Taxi zu springen und sich dem gemächlich daherschlendernden Troll zu nähern.
»Hey, wir haben uns schon Sorgen gemacht. Serrin wird sich besser fühlen, wenn er seinen Leibwächter wieder um sich hat«, begann Michael, um dann innezuhalten.
Der Troll ging einfach an Michael vorbei, als sei er gar nicht da. Michael hielt ihn am Arm fest, und daraufhin wandte sich Tom langsam in seine Richtung. Er betrachtete Michael, als sehe er ihn zum erstenmal, dann nickte er ihm unmerklich zu und folgte ihm zum Taxi.
»Geht es dir gut?« fragte Michael besorgt.
»War noch nie besser«, sagte Tom gelassen und zog an der Taxitür, um sie zu öffnen, wobei er sie fast aus den Angeln riß. Er sah verblüfft auf seine Hände, als könne er nicht glauben, daß sie so funktionierten.
»Wenn du nicht trocken wärst, würde ich annehmen, daß du dir einen hinter die Binde gekippt hast«, sagte Michael. Er war ein wenig nervös. Sich das Taxi mit einem höchst kräftigen und offenbar völlig desorientierten Troll zu teilen, mochte sich als nicht ganz ungefährlich erweisen.
»Unwahrscheinlich«, sagte Tom ruhig. Er testete die Tür mit einer Sanftheit, die er einem Baby in seinen Armen hätte angedeihen lassen, öffnete sie sehr vorsichtig und stieg ein, wobei er die Verwünschungen des Fahrers, er würde die Tür bezahlen müssen, falls er sie ruinierte, geflissentlich ignorierte.
Michael folgte ihm hinein und musterte den Troll durchdringend. Tom saß ganz gelassen da, die Hände auf dem Schoß gefalten.
»Zurück, würde ich meinen«, sagte der Engländer zum Fahrer. »Und keine Sorge. Er ist harmlos. Wirklich.«
Das Taxi fuhr los und brachte sie in die Stadt zurück.
Kristen war entzückt über den Vorschlag, sich von dem Geld, das Serrin ihr gab, neue Kleidung zu kaufen. Einzukaufen war ein Vergnügen, dem sie sich nie richtig hatte widmen können. Sie kümmerte sich zuerst um die praktischen Dinge und kaufte sich feste Stiefel, eine wetterfeste, doppelseitig tragbare Jacke und eine Hose, die aussah, als könne sie mehr als einen Winter überstehen. Dann standen sie zwischen unzähligen Regalen mit Damenunterwäsche, die sie schließlich auch benötigte, und Kristen war froh, daß Serrin nicht sehen konnte, wie sie errötete. Nicht weiß zu sein, hatte manchmal auch sein Gutes.
Sie berührte die sagenhaft weiche und glänzende Seide, schwelgte in dem schieren Luxus, den sie repräsentierte. Für sie natürlich ungeeignet. Wenn sie Seidenhöschen wollte, konnte sie immer für Indra arbeiten. Natürlich würde ihr
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