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Notaufnahme

Notaufnahme

Titel: Notaufnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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das einen besonderen Grund?«
    »Nun, für ein Mädchen vom Lande war die Tower Bridge der Inbegriff von London. Das gilt übrigens für viele Menschen. Sie ist ein Symbol für diese Stadt. Für manche ist’s eher der Big Ben oder der Buckingham Palace, aber diese Bauwerke interessierten Gemma nie besonders, weil man zu ihnen aufschauen muss. Die Tower Bridge hingegen bot dem neugierigen Mädchen einen atemberaubenden Ausblick, mehr noch: einen Blick auf die Welt. Im Vergleich zum Tower selbst ist die Brücke ein junges Bauwerk, aber ihre Architektur ist einzigartg, finden Sie nicht auch, Commander?«
    Creavey stimmte ihm zu.
    »Dies war der erste Ort, den Gemma als kleines Mädchen nach dem Krieg besichtigt hatte; sie war die Stufen hochgestiegen, um zu sehen, wohin der Fluss führte. Damals glaubte sie, sie könne bis nach Amerika blicken. Wenn sie allein sein, träumen oder nachdenken wollte, stieg sie hoch und horchte in sich hinein.«
    »Waren Sie noch einmal mit ihr dort?«
    »Ich habe ihr dort oben meinen Heiratsantrag gemacht, Mr. Chapman. Zwei Jahre später. So war ich mir sicher, dass sie ihn nicht ablehnen würde«, antwortete Geoffrey lächelnd. »Vor jeder Prüfung ist sie hochgestiegen. Ganz unabhängig davon, dass sie mehr lernte als alle anderen Studenten, brauchte sie die einsamen Momente auf ihrem Turm. Aber auch zu großen Anlässen zog es sie trotz der Menschenmassen dorthin. 1967 zum Beispiel, als die Gipsy Moth einlief und die Zugbrücke geöffnet wurde, waren wir dort.«
    »Wissen Sie, ob sich diese Vorliebe auch bis in ihr Erwachsenenleben erhalten hat?« Ich dachte an Gemmas Schlüsselanhänger, der zu Hause auf meinem Nachttisch lag, und an sein Gegenstück, das ich einige Tage zuvor in William Dietrichs Hand entdeckt hatte.
    »Das kann man wohl sagen. 1994 kam sie eigens zur Hundertjahrfeier der Tower Bridge rüber. Damals war ich bereits wiederverheiratet, wie Sie sicher wissen, und Gemma hat uns alle hochgejagt – wir sollten den Ausblick bewundern. Sie hat Unmengen von Souvenirs eingekauft und mit rüber in die Staaten genommen. Kaffeebecher mit der Tower Bridge, Teelöffel mit der Tower Bridge, Schlüsselanhänger mit der Tower Bridge …«
    » Unmengen?«
    »Unmengen.«
    Soviel also zu der Bedeutung, die ich Dietrichs Schlüsselanhänger beigemessen hatte. Es war einer von mehreren Dutzend, die sie an Freunde und Kollegen verschenkt hatte.
    »Ich bin sicher, dass Sie jede Menge dieser Souvenirs in ihrer Wohnung und im Büro entdeckt haben, stimmt’s? Dies war eine ihrer Seiten, die eher im verborgenen geblieben sind. Knapp zehn Jahre nach unserer Heirat wurden wir geschieden. Es gab nie eine Auseindersetzung, nie einen Streit. Man kann sagen, dass wir auch nach der Scheidung gute Freunde geblieben sind. Wir sahen uns praktisch jedes Mal, wenn sie in England war. Wir haben einander geschrieben und uns gegenseitig auf dem Laufenden gehalten – beruflich und privat. Sie konnte einfach niemanden in ihre Welt lassen, in den Teil ihrer Welt, der ihr wirklich etwas bedeutete. Sie war eine herausragende Wissenschaftlerin und eine loyale Freundin, wenn sie an jemanden glaubte. Doch ein Teil von ihr war leer, hohl, und sie hat nicht zugelassen, dass irgendjemand ihn füllte – weder ich noch jemand anders. Eigentlich seltsam, dass ich als Arzt die Vorstellung hatte, in ihrem Körper befände sich ein Hohlraum, den ich hätte füllen können, wenn ich nur gewusst hätte, wo genau er sich befand. Aber eben dies habe ich nie herausgefunden.«
    Geoffrey Dogen sprach nun mit leiser Stimme und starrte dabei auf seine Hände, die gefaltet vor ihm auf dem Tisch ruhten.
    Mehr als eine Stunde erzählte er von seiner Ehe mit Gemma, von der Scheidung, von Freunden, Studenten und ihrer Karriere in England. In vielen Mordfällen, die Chapman aufgeklärt hatte, waren solche Detailinformationen von Menschen, die dem Opfer nahe gestanden hatten, der Schlüssel zur Lösung gewesen. Doch hier schienen sie uns nicht weiterzubringen.
    Behutsam versuchte Mike, Geoffrey zu den Ereignissen zu lenken, die für Gemmas berufliche Zukunft von Bedeutung waren. Der Arzt stieß einen tiefen Seufzer aus und sackte in seinem Stuhl zusammen.
    » Glauben Sie wirklich, dass der Mord etwas mit ihrer Arbeit zu tun hat?« fragte er an Mike gewandt.
    »Wir müssen alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.«
    »Nun, die letzten Jahre waren für Gemma ein ständiger Kampf. Ich meine in Bezug auf das Minuit Medical College und das

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