Notaufnahme
Mid-Manhattan, nicht ihr Privatleben.«
»Wissen Sie, worum es ging und wer ihre Widersacher waren?«
»Vom ersten Tag an hat sie dort für Wirbel gesorgt. Nichts Dramatisches, aber sie war eben sehr prinzipientreu – was in unserem Beruf eigentlich kein Nachteil ist. Meiner Meinung nach waren es zwei Eigenschaften, mit denen sich Gemma nicht gerade beliebt gemacht hat.« Dogen hatte den Blick nun auf mich gerichtet; wahrscheinlich gefiel es ihm nicht, dass ich seine Vermutungen schwarz auf weiß festhielt, doch ich erwiderte seinen Blick, um ihm zu verstehen zu geben, dass ich das tat, was ich für richtig hielt.
»Schon ganz zu Anfang hat sie deutlich gemacht, dass sie keinen Bewerber zur Facharztausbildung zulassen würde, der nicht ihren Anforderungen entsprach. Und die waren enorm hoch, wie Sie sich vorstellen können. Sie verlangte einen hervorragenden Universitätsabschluss, erstklassige Referenzen und Zeugnisse, intellektuelle Reife, Integrität, Geschicklichkeit im OP und vieles mehr. Persönliche Lieblinge irgendwelcher Professoren oder Sprösslinge einflussreicher Eltern hatten keine Chance. Da war Gemma knallhart. So manchem Kollegen war das natürlich nicht recht.«
»War da vor kurzem etwas Derartiges im Gange? Wollte man sie dazu bringen, jemanden zuzulassen, den sie ablehnte?«
»Ganz sicher, ja.«
Wie aus einem Mund fragten Mike und ich nach dem Namen desjenigen.
»Oh, nein, nein, nein. Verzeihen Sie mir. Ich meine keinen konkreten Fall. Aber es war immer etwas Derartiges im Busch; es gab immer irgendeinen Professor, irgendjemanden aus der Verwaltung, der einen Kandidaten, mit dem Gemma nicht einverstanden war, besonders bevorzugte. Normalerweise führte dies zu einer Auseinandersetzung. Aber einen Namen kann ich Ihnen nicht nennen. Als sie mich das letzte Mal besuchte, klagte sie über einen Arzt aus dem Columbia-Presbyterian Hospital. Einer seiner Studenten – sein Name lautete Nazareth oder so ähnlich – war offensichtlich bereits zugelassen worden, bevor sich herausstellte, dass er in eine seltsame Sache verwickelt war. In der Wohnung des jungen Mannes wurde ein Mädchen bewusstlos – seine Freundin, die er als Patientin im Krankenhaus kennen gelernt hatte. Sie war in seinem Wohnzimmer ins Koma gefallen, und erst vier Stunden später brachte er sie in die Klinik. Sie ist sozusagen beinahe vor seinen Augen gestorben. Und zu allem Unglück stellte sich dann noch heraus, dass er versucht hatte, ihr Blut abzunehmen – warum, das hat er nie erklärt. Dazu hatte er die Nadel in ihr Handgelenk eingeführt und sie dabei schlimm verletzt. Als das Mädchen aus dem Koma erwachte, war sie vollkommen verstört. Dr. Nazareth hat weder verlauten lassen, welche Nadel er benutzte, noch was aus dem Blut des Mädchens geworden ist. Die junge Frau war jedenfalls davon überzeugt, dass er sie unter Drogen gesetzt hatte. Merkwürdige Sache. Und der Arzt, der diesen Studenten empfahl …«
» Erinnern Sie sich an seinen Namen?« Ich notierte alles, was Dogen sagte.
»Nein, tut mir leid. Aber faxen Sie mir eine Liste aller Chefärzte des Krankenhauses, und er fällt mir wieder ein. Jedenfalls spielte dieser Arzt die Angelegenheit herunter. Und auch die vier Festnahmen, die der Student nach kleineren Auseinandersetzungen mit der Polizei über sich hatte ergehen lassen müssen; größtenteils Verkehrsdelikte. Das hatte Gemma bei Nachforschungen herausgefunden. In ihren Augen war der junge Mann ein verkommenes Subjekt und eine Gefahr für ihren Berufsstand. Ich weiß, dass sie es geschafft hat, ihn wieder rauszuwerfen, und man kann sich vorstellen, dass er nicht der einzige war, der nicht gut auf Gemma zu sprechen war.«
»Sie sprachen von zwei Eigenschaften, mit denen sie sich unbeliebt gemacht hat. Was war die andere?«
»Die Richtung, in die sie die Abteilung lenkte. Viele im Minuit waren nicht gerade begeistert von den Plänen, die Gemma mit der neurochirurgischen Abteilung hatte.«
»Zu sehr auf Trauma ausgerichtet?«
»Ja, in der Hauptsache.«
»Welche Leute waren das?«
»Nun, da wäre zuerst einmal Robert Spector zu nennen, der die Phalanx gegen Gemma anführte. Es ist kein Geheimnis, dass er sie weghaben wollte, um ihre Nachfolge anzutreten.«
»Spector hat uns erzählt, sie habe nicht mehr in New York bleiben wollen, weil sie dort in Sachen Traumabehandlung immer die zweite Geige hinter Dr. Ghajar vom New York Hospital gespielt hätte.«
»Unsinn. Sie hatte größten Respekt vor Ghajar, und
Weitere Kostenlose Bücher