Notaufnahme
Unterhaltungen immer wieder.
»Reg dich nicht auf, Coop. Du weißt doch, dass ich für Chancengleichheit bin. Der andere Knabe heißt Coleman Harper – ist das nicht einer der feinen Namen, die du gefressen hast? Ist wahrscheinlich nach der Urgroßmutter väterlicherseits benannt.«
»Mein Liebling ist der Orthopädiechirurg, dessen Büro neben dem von Gemma Dogen liegt«, schaltete sich Mercer ein. »Ein ziemlich junger Bursche mit schwarz glänzendem Haar und dem falschesten Grinsen, das ich jemals gesehen habe. Ist er euch schon über den Weg gelaufen? Hält sich für den Schönsten. Ich wette, das einzige, worüber der sich Sorgen macht, ist, ob die Blutflecken aus Dogens Büro verschwinden, so dass er dorthin umziehen kann. Dann ist er ein Zimmer näher am Dekan. Wirklich sehr ehrgeizig, der junge Mann.«
Unterdessen hatte ich Patrick meine American Express Karte zugeschoben und ihn gebeten, alles, was die Jungs noch konsumierten, auf meine Rechnung zu setzen und zwanzig Prozent Trinkgeld zu addieren.
»Bis morgen«, sagte ich und stand auf.
»Kein Absacker mehr heute?«
»Nein, danke, ich bin reif fürs Bett.«
»Vergiss aber deinen Glückskeks nicht. Hey, Patrick, geben Sie Miss Cooper aber bitte einen guten.«
»Im Shun Lee gibt’s nur gute Glückskekse, Mr. Mike. Keine schlechten Prophezeiungen.«
Ich entfernte das Zellophanpapier, brach den knusprigen Keks in der Mitte durch und zog das Papierröllchen heraus, das mir mein Schicksal verriet. »Danke Mike, genau das, was ich gebraucht habe: ›Die Dinge verschlechtern sich, bevor sie besser werden. Haben Sie Geduld.‹« Na prima.
»Soll ich dich zum Wagen bringen?« erbot sich Mercer.
»Danke, geht schon. Er steht gleich vor der Tür.«
»Ich hol’ dich morgen gegen Mittag in deinem Büro ab. Bis dann, Ciao.«
Ich teilte dem Nachtwächter in der Parkgarage mit, dass ich meinen Wagen am nächsten Morgen nicht brauchte, und stieg die Stufen von der Tiefgarage in die Lobby des Apartmentgebäudes hoch. Einer der Pförtner reichte mir den großen Plastiksack mit den Klamotten aus der Reinigung und einen Stapel Zeitschriften, die zu sperrig für den Briefkasten gewesen waren. Ich klemmte meine Mappe unter den Arm, um den Packen Papier zu balancieren, und nahm mit der Linken die schwer beladenen Kleiderbügel im Empfang, bemüht, mir davon nicht die Finger zerquetschen zu lassen. Dann drückte ich den Knopf für den zwanzigsten Stock.
Nachdem ich beide Türschlösser geöffnet und die Tür aufgestoßen hatte, fiel mein Blick in der Diele auf ein Blatt Papier, das mir David Mitchell unter der Tür durchgeschoben hatte.
Ich entledigte mich meiner Lasten, hob die Nachricht auf und las. »Habe das Wetter satt und fliege übers Wochenende auf die Bermudas. Kannst du dich um Prozac kümmern, oder soll ich ihn in die Hundepension geben? Ich ruf dich morgen im Büro an. Gruß, David.«
Das traf sich gar nicht schlecht: Ich hütete Zac, den Weimeraner, während sein Herrchen – höchstwahrscheinlich in Begleitung seiner neuesten Eroberung – am Strand ausspannte. Und im Gegenzug würde ich David bitten, Maureen ins Mid-Manhattan einzuweisen.
Während ich die Post durchsah, schlüpfte ich aus meinen Schuhen. Mode-, Einrichtungs- und Gartenmagazine machten wie immer zu Beginn des Frühlings den Löwenanteil der Post aus; die vier Bestellkataloge landeten umgehend beim Altpapier; die Rechnungen von diversen Geschäften und Restaurants legte ich auf die Anrichte; und die Postkarte von Nina nahm mit ins Schlafzimmer, wo ich aus meiner Strumpfhose stieg.
Während ich auf der Rückseite der von Winslow Homer gemalten Seelandschaft von Ninas Wochenende in Malibu las, überkam mich die Sehnsucht nach einem Plausch mit meiner besten Freundin. Wir hatten uns im College ein Zimmer geteilt, und obwohl uns drei Zeitzonen trennten, versuchten wir, täglich wenigstens eine kurze Nachricht in Form von Anrufen oder Kunstpostkarten, die wir beide sammelten, auszutauschen. Darauf teilten wir uns Gedanken und Erfahrungen mit. Vor Jahren hatte sie sich in gespieltem Ernst einmal darüber beklagt, dass mein Leben so viel interessanter sei als ihres. Wir berichteten uns gegenseitig von unseren Romanzen und Affairen, und sie war es, die mir im Jahr meines Juraexamens in meiner Trauer über meinen bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommenen Verlobten zur Seite gestanden hatte.
In letzter Zeit hatten mir die Nachrichten von ihren Wochenenden mit Jerry und ihrem Sohn in
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