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Notaufnahme

Notaufnahme

Titel: Notaufnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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durch den gesamten Prozess hindurch zu begleiten und dabei sehr viel größere Erfolge zu erzielen als im Strafjustizsystem üblich war, hatten zur Folge, dass ich viele Jahre länger als ursprünglich geplant in dem Job blieb.
    Chapmans Hintergrund war das genaue Gegenteil von meinem. Sein Vater, Nachfahre irischer Einwanderer, hatte bei einem Besuch in Cork, der Heimat seiner Vorfahren, seine Frau kennen gelernt und sie in die Staaten geholt. Brian Chapman hatte sechsundzwanzig Jahre lang als Polizist für das NYPD gearbeitet und war zwei Tage nach seiner Pensionierung einer Herzattacke erlegen. Mike und seine drei älteren, Schwestern waren in Yorkville, einer Arbeitersiedlung in Manhattan, aufgewachsen, in der man im Gegensatz zu den schicken Restaurants und koreanischen Schönheitssalons des südlich angrenzenden Viertels Lenox Hill einfache Eckkneipen und deutsche Metzgereien antraf.
    Mike hatte sein Junior-College-Jahr in Fordham verbracht – dank eines günstigen Studentendarlehens, das er nach dem Tod seines Vaters zusätzlich zu seinen diversen Kellnerjobs aufgenommen hatte. Gleich nach dem Abschluss ging er auf die Polizeiakademie, fest entschlossen, in die Fußstapfen des Mannes zu treten, den er vergöttert hatte. Brian Chapman hatte quasi sein Leben in der Uniform verbracht und war durch Spanish Harlem patrouilliert, wo er jeden Ladenbesitzer, jedes Schulkind und jedes Bandenmitglied sowohl mit richtigem als auch mit Decknamen kannte. Mike hatte gleich als Anfänger einen großen Erfolg gefeiert: In seinem ersten Jahr bei der Polizei hatte er das mit einer Drogengeschichte in Verbindung stehende Massaker an einer kolumbianischen Familie in Washington Heights aufgeklärt – mit Hilfe von Informanten, die er durch seinen Vater von der Straße kannte. Acht Monate nachdem Mike ein schwangeres Mädchen, das sich von der George Washington Brücke gestürzt hatte, aus dem aufgewühlten Wasser gefischt hatte, wurde er vorzeitig in den gehobenen Dienst befördert.
    Mit seinen fünfunddreißig Jahren war Mike ein hoffnungsloser Single; er lebte in einem winzigen Ein-Zimmer-Apartment, das er seinen »Sarg« nannte. Er und Mercer Wallace hatten bei der Mordkommission zusammengearbeitet, bevor Wallace zum Special Victims Squad berufen wurde, wo er die meisten aufsehenerregenden Vergewaltigungsfälle von Manhattan übernahm.
    Mercer war mit seinen neununddreißig fast fünf Jahre älter als ich. Die Mutter war bei seiner Geburt gestorben, und sein Vater hatte ihn allein in einer Mittelklasse-Wohngegend von Queens großgezogen. Spencer Wallace, der als Mechaniker für Delta auf dem La Guardia-Flughafen arbeitete, ließ keine Gelegenheit aus, um seinen Sohn daran zu erinnern, dass es ihm fast das Herz gebrochen hätte, als sein Junge das Football-Stipendium an der University of Michigan abgelehnt hatte, um zur Polizei zu gehen.
    In allen Abteilungen, in denen Mercer gearbeitet hatte, war er für seine akribischen Ermittlungen bekannt. Seine kurze erste Ehe mit einer Boutique-Besitzerin seines Heimatviertels endete mit Scheidung. Er behauptete, sie habe seinen Beruf mit den unregelmäßigen und ausgedehnten Arbeitszeiten und Nachtschichten niemals verstanden. Seine zweite Ehe mit einer Polizistin scheiterte ebenfalls – aus Gründen, die sie ihm nie mitgeteilt hatte. Und so war Mercer auf der Suche nach einer Frau, die ihm einerseits seine Freiheit ließ, aber andererseits dreimal täglich eine anständige Mahlzeit auf den Tisch brachte.
    Meine Eltern lebten beide noch, erfreuten sich bester Gesundheit und genossen ihre Tage auf einer wunderschönen Insel in der Karibik. Plötzlich mit einem Krankenhaus als Tatort eines Mordes konfrontiert zu sein, war für mich äußerst ungewöhnlich, denn ich hatte mich unter Ärzten, die in ihren weißen Kitteln Leben retteten, bislang immer sehr wohl und sicher gefühlt.
    Mein Vater, Benjamin Cooper, war Kardiologe und gemeinsam mit einem Kollegen Erfinder eines Röhrchens, das die Operation am offenen Herzen revolutioniert hatte. Es wurde seit fünfzehn Jahren bei beinahe jeder Herzoperation eingesetzt, und ich war mir sehr wohl der Tatsache bewusst, dass ich diesem winzigen Kunststoffteil meinen Lebensstil verdankte.
    Anders als bei vielen meiner Freunde sind meine Kindheitserinnerungen nicht mit köstlichen Küchendüften verbunden; meine einprägsamste olfaktorische Erinnerung ist die an den strengen Geruch von Äther, der meinen Vater umschwebte, wenn er sich nach einem

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