Notaufnahme
Arbeit gehen konnte.
Laura piepte mich an. »Mo hat angerufen, während Phil bei Ihnen war. Ich glaube, Sie können auf sie zählen. Seit dem Gespräch mit Mercer ist sie schon ganz aufgeregt.«
Ich griff nach meinem Block, warf einen Blick auf die Uhr und teilte Laura mit, dass ich hoch zu den Räumen der Grand Jury in den neunten Stock ginge, um offiziell die Aufnahme der Ermittlungen im Mordfall Gemma Dogen zu beantragen. Bevor ich die ersten Gedanken an die Fragen verschwendete wie und wann wir wohl den ersten Tatverdächtigen ausfindig machen würden, musste ich vor die dreiundzwanzigköpfige Grand Jury treten. Durch sie wird die Staatsanwaltschaft per Gesetz ermächtigt, in einer Strafermittlung Vorladungen zum Zwecke der Beweisaufnahme auszusprechen. Obwohl dieses System schon vor Jahren in der Hälfte aller amerikanischen Bundesstaaten abgeschafft worden war, galt es in New York immer noch. Hier lag es nicht in der Macht des Bezirkssaatsanwalts, Papiere auszustellen oder das Erscheinen eines Zeugen anzuordnen. Polizeiberichte und Autopsieergebnisse wurden telefonisch an mich weitergegeben, aber medizinische Daten, Aufzeichnungen von Telefongesprächen und Unterlagen, die möglicherweise als Beweise dienen konnten, liefen in einem Fall wie dem Mord an Gemma Dogen über die Grand Jury.
Die meisten Bürger wissen weder etwas über den Zweck noch die Funktionsweise dieser Einrichtung, die »Grand Jury« genannt wird, um sie von der zwölfköpfigen »Petit Jury« zu unterscheiden. Die Grand Jury leitet sich aus dem britischen Rechtssystem her und wurde geschaffen, um Staatsanwälte an die Kette zu nehmen, deren Ermittlungen politisch motiviert oder sachlich ungerechtfertigt sind, und ihre Funktionsweise unterscheidet sich komplett von der einer Geschworenen-Jury, die während einer Verhandlung auftritt. Die Grand Jury tagt unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Angeklagte darf aussagen, auch wenn dieses Recht nur selten in Anspruch genommen wird; die Verteidigung darf keine Zeugen aufrufen, und die Zeugen der Staatsanwaltschaft müssen sich keinem Kreuzverhör unterziehen. Die Aufgabe der Grand Jury besteht darin, nach Sichtung der Beweislage zu entscheiden, ob Anklage erhoben wird, das heißt zu entscheiden, ob ausreichend Beweise vorliegen, um eine Verhandlung durchzuführen.
Im Warteraum wimmelte es vor Staatsanwälten und deren Zeugen. Die Ersteren warteten mit leuchtenden Augen begierig darauf, den ersten Schritt in Richtung einer Verhandlung zu tun. Denn genau aus diesem Grund drängten ja so viele junge Juristen in Abteilungen wie die Battaglias, und je mehr Verhandlungen sie gleichzeitig führten, desto glücklicher waren sie – wie Zirkusjongleure, die möglichst viele bunte Bälle gleichzeitig in der Luft halten wollten.
Die Stimmung der Zeugen war im Allgemeinen etwas gedämpfter. Es waren Leute, die niedergeschlagen oder -gestochen worden waren, denen man die Brieftasche oder den Wagen gestohlen hatte, die von einem Wildfremden oder der eigenen Sippe übers Ohr gehauen worden waren. Sie fühlten sich weder in ihrer Rolle als Opfer wohl, noch beglückte sie die Aussicht, sich nun in die Mühlen der Justiz zu begeben.
Nur zwei meiner zahlreichen wartenden Kollegen verliehen ihrem Unmut lautstark Ausdruck, als ich mich an den Verwaltungsangestellten wandte, der über die Abwicklung der Anträge in der richtigen Reihefolge wachte. Die Tatsache, dass ich einen brisanten Fall übernommen hatte, rechtfertigte, dass ich außer der Reihe vorgelassen wurde und mich über sämtliche in Sachen Einbrüche, Diebstähle und Drogengeschäfte anwesenden Staatsanwälte hinwegsetzte, auch wenn diese schon seit geraumer Zeit warteten.
»Reg dich nicht auf, Gene. Es dauert nur eine Minute, und ich bin ohne Zeugen da. Ich muss lediglich die Eröffnung der Ermittlungen beantragen, damit ich einige Vorladungen ausstellen kann. Keine Angst, geht wirklich ganz schnell.«
»Hör mal, Debbie hat unten in ihrem Büro ‘ne Fünfjährige. Die Freundin ihres Vaters hat sie mit kochendem Wasser übergosssen, weil sie nicht aufhören wollte zu weinen. Der Kleinen geht’s wirklich nicht gut …«
»Das hat natürlich Vorrang, keine Frage. Ich geh’ danach …«
Als der Verwaltungsangestellte den nächsten aufrief, klingelte ich schnell Debbie an, damit sie das Mädchen zur Zeugenaussage vorbeibrachte. Das verängstigte Kind, dessen linke Kopfhälfte schlimm verbrüht war, klammerte sich an die Hand der Staatsanwältin,
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