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Notaufnahme

Notaufnahme

Titel: Notaufnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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Angeklagten angenommen. Die dreiundzwanzigjährige Fotografin hatte glaubhaft geschildert, dass sie der Einladung von Ivan Tuggs ohne jeglichen sexuellen Absichten gefolgt sei.
    Auch wenn unsere Abteilung in den letzten zehn Jahren hunderte solcher Fälle verfolgt hatte, waren sie nicht einfach gelagert und machten immer wieder Schwierigkeiten. Daran ist nicht das Gesetz schuld, sondern vielmehr die allgemeine Verfassung der Gesellschaft in Bezug auf diese Art von Verbrechen, was sich häufig im Verhalten von unsensiblen Geschworenen ausdrückte, die diese Taten nicht ernst genug nahmen.
    Das größte Problem für eine Frau, die von einem Bekannten vergewaltigt worden war, war eine Verteidigung, die das Opfer als Lügnerin oder Spinnerin darstellte und argumentierte, das Verbrechen sei nie geschehen, und deshalb phantasiere sich die betroffene Frau die ganze Sache zusammen. Wie es sei »etwas« zwischen den beiden passiert, und die Frau wolle nicht wahrhaben, dass sie der sexuellen Handlung gestimmt habe.
    In einem solchem Fall kam es für die Staatsanwaltschaft auf verständnisvolle Geschworene an – auf intelligente Bürgern, die mit beiden Beinen im Leben standen, über einen gesunden Menschenverstand und eine Portion liberales Denken verfügten. So war die halbe Schlacht gewonnen. Doch ein bestimmter Schlag von Frauen, die bei der Beurteilung des Verhaltens anderer Frauen oft weitaus strengere Maßstäbe anlegten als so mancher Mann, waren in Vergewaltigungsfällen, bei denen sich Opfer und Täter nicht kannten, besser als Geschworene geeignet. Diese Erfahrung hatte ich unzählige Male gemacht, und ich hatte versucht, dieses Wissen innerhalb meiner Abteilung weiterzugeben.
    »Sie haben doch die Geschworenen gesehen, Alex, nicht wahr?«
    » Ja, warum?«
    » Wie fanden Sie sie?«
    » Mehr Frauen, als in einem solchen Fall von Nutzen sind, aber Sie haben mir doch gesagt, dass Ihre Chancen trotzdem nicht schlecht stünden.«
    »Ich schwöre es, Alex, es war eine reine Fraueninvasion, und ich konnte nichts dagegen unternehmen.«
    Hör schon auf zu winseln, Phil, dachte ich. »Und wo ist das Problem?«
    »Alles lief ganz gut. Im Verhandlungssaal war es allerdings so kalt, dass die Geschworenen die Richterin baten, die Heizung hochdrehen zu lassen, noch bevor der erste Polizist in den Zeugenstand trat. Eine Stunde später war es derart warm im Raum, dass uns allen der Schweiß auf der Stirn stand. Die Geschworene Nummer drei stand auf, entschuldigte sich kurz und zog vor sämtlichen Anwesenden ihren Pulli aus. Was trug sie darunter? Ein T-Shirt mit den Ausmaßen eines Zirkuszelts, auf dem in lila Buchstaben stand: Freiheit für Mike Tyson.«
    Ich konnte mich gerade noch bemühen, mein Lachen zu unterdrücken, aber Marisa und Catherine platzten lauthals heraus.
    »Das ist wirklich nicht lustig. Wann ist Tyson eingelocht worden? 1991. Das heißt, diese Frau konnte sich in einem halben Dutzend Jahren kein anderes T-Shirt als dieses verdammte Ding leisten und hatte keine andere Wahl, als ausgerechnet dieses anzuziehen – oder sie glaubt wirklich an den blöden Spruch. Falls letzteres zutrifft, sind wir aufgeschmissen.«
    »Was hat die Richterin gesagt?« fragte Marisa.
    »Nichts. Wir haben uns ziemlich verblüfft angeglotzt, aber …«
    » Das heißt, Sie haben sie nicht aufgefordert, die Geschworenen zu überprüfen? Ich hab’ doch noch Ihre Stimme im Ohr, Phil, als Sie die Geschworenen befragten, ob sie glaubten, dass die Tatsache, dass sich Opfer und Angeklagter kannten, das Verbrechen zu einer reinen Privatsache machen würde. Sie haben die richtigen Antworten bekommen. Außerdem haben Sie eine in solchen Angelegenheiten wirklich gute Richterin erwischt. Bitten Sie sie, dass sie der Geschworenen Nummer drei vor der Fortsetzung der Verhandlung ein paar Fragen stellt.«
    »Sollte ich nicht derjenige sein, der ihr die Fragen stellt?«
    »Eindeutig nicht. Wir besprechen jetzt gemeinsam die Fragen, Sie schreiben sie auf und geben Sie der Richterin. Das letzte, was in unserem Interesse liegt, ist, dass bei den anderen Geschworenen der Eindruck entsteht, Sie würden auf einer von ihnen herumhacken. Wenn sie die Fragen übersteht und Geschworene bleibt, soll sie ruhig glauben, die Richterin hätte sich an ihrem lässigen T-Shirt gestoßen, nicht Sie. Sonst sähe ihr Urteil vielleicht entsprechend ungünstig für uns aus.«
    Catherine erbot sich, gemeinsam mit Phil die richtigen Fragen zu formulieren, so dass ich an meine

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