Notbremse
Flüsterton versuchte sie, den Konzernchef von der Dringlichkeit des erbetenen Gesprächs zu überzeugen. Das Telefonat wurde abrupt beendet, worauf die Dame unfreundlich erklärte:
»Sie werden abgeholt.«
Zwei Minuten später stöckelte eine junge Frau durch das blitzblanke Foyer und bat den Kriminalisten, ihr zu folgen. Sie gingen über zwei Treppen, fuhren drei Etagen mit einem Lift nach oben und gelangten am Ende eines hellen Flurs zu einem Büro, durch das sie die Residenz des Unternehmenschefs erreichten. Der hieß Fludium unterkühlt willkommen und bot ihm einen Platz auf einer ledernen Sitzgruppe an. Die Sekretärin verschwand im Vorzimmer und ließ die Tür ins Schloss fallen.
Lambert, der seine Bedeutung durch einen Nadelstreifenanzug unterstrich, setzte sich ebenfalls und drängte auf Eile.
»Ich hab wenig Zeit«, begann er und sah demonstrativ auf seine goldene Armbanduhr. »Sie platzen hier herein, ohne sich anzumelden. Das ist ziemlich ungewöhnlich, um es mal vorsichtig auszudrücken«, fuhr er vorwurfsvoll fort.
Fludium knöpfte seine helle Jacke auf und lehnte sich entspannt zurück. Er genoss seine Überlegenheit. Normalerweise waren es Manager vom jung-dynamischen Typ wie Lambert gewohnt, dass jeder um sie herum kuschte und den Bückling machte.
»Es wundert Sie gar nicht, dass sich die Kriminalpolizei für Sie interessiert?«, stellte der Kriminalist fragend fest.
»Um ehrlich zu sein, nein. Seit unsere, verzeihen Sie, wenn ich das so deutlich sage, Stümper in Berlin diese Gesundheitsreform zusammengezimmert haben, wie ein Kurpfuscher, mit Verlaub gesagt, seitdem wird in unserer Branche mit harten Bandagen gekämpft. Jeder wirft dem anderen unlautere Mittel vor. Worum geht es diesmal?«
»Um Mord«, antwortete Fludium prompt, worauf der Manager für einen kurzen Moment sprachlos wirkte.
»Mord? Ich nehm an, Sie wissen, wovon Sie sprechen.«
»Mord«, stellte der Kriminalist noch einmal klar. »Und es gibt da einige merkwürdige Spuren, die zu Ihnen führen.«
»Zu mir?« Lamberts Gesichtszüge veränderten sich. Er zog seine Hose an den Oberschenkeln glatt. »Das kann doch alles nur ein Irrtum sein – oder sind Sie gerade dabei, unserem Unternehmen etwas anzuhängen?« Lambert hatte sich wieder im Griff.
»Keines von beidem, wenn ich das so sagen darf. Ich hätt’ von Ihnen gern gewusst, wo sich Frau Sylvia Ringeltaube aufhält.«
Das saß. Lambert schluckte trocken. Er verschränkte die Arme und presste die Lippen zusammen. Nach zwei Sekunden entschied er sich für eine Gegenfrage: »Darf ich erfahren, welches Interesse Ihrerseits am Aufenthaltsort der Frau Ringeltaube besteht?«
Am liebsten hätte Fludium jetzt seinem Ärger Luft gemacht und diesem Arrogantling und Kotzbrocken ins Gesicht geschrien, was er von Typen wie ihm hielt. Doch er mäßigte sich. Lambert lauerte vermutlich nur darauf, ihm an den Karren fahren zu können, wie man so schön sagte. Gleich würde er ohnehin mit einem Anwalt drohen und die Aussage verweigern.
»Sie kennen Frau Ringeltaube und Sie wissen, wo sie ist.«
»Frau Ringeltaube ist eine Bekannte von mir«, gab sich der Manager versöhnlich, um dann wieder energisch zu werden: »Ich hätte jetzt aber schon gern gewusst, worum es überhaupt geht.«
»Es geht darum, dass wir die berechtigte Sorge haben, Frau Ringeltaube könnte etwas zugestoßen sein.«
»Ein Mord?«
»Auch das.«
»Und was hat das mit mir zu tun?« Lambert legte seine Arme jetzt auf die Seitenlehnen des Ledersessels. Er wollte entspannt wirken.
»Kennen Sie einen Herrn Hocke?«, feuerte Fludium erneut eine Breitseite ab.
»Hocke?«, versuchte Lambert ganz offensichtlich Zeit zu gewinnen. »Hocke?«
»Oder sagt Ihnen Lana etwas? Lana in Südtirol?«
Lambert wurde bleich. Seine Lippen bebten. »Ich möchte meinen Anwalt sprechen.«
Damit hatte Fludium gerechnet. Jetzt musste rasch gehandelt werden.
In Peking war dieser Freitag bereits sechs Stunden weiter fortgeschritten. Dieter Hocke schwankte zwischen Hoffen und Bangen. Die Schwarzuniformierten hatten ihn und die drei Chinesen in der Verbotenen Stadt festgenommen und zu zwei geparkten Kombis gebracht. Dies war ohne jegliches Aufsehen vonstattengegangen. Hocke und die anderen hatten sich freiwillig abführen lassen. Während die Chinesen einige Worte in ihrer Landessprache mit den Uniformierten wechseln konnten, wurde Hocke ziemlich unfreundlich abgewiesen.
»Kein Kommentar«, hatte der Anführer mehrfach auf Deutsch
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