Notbremse
zu und bewunderte dann die Skifahrer, die von der Liftanlage im rasanten Tempo an ihm vorbeirauschten. Er wollte das mal probieren, nahm er sich jetzt vor. Doch während er sich gerade ausmalte, wie er wohl die ersten paar Male unsanft ins Wasser stürzen würde, meldete sich sein Handy. Gegenüber den Erholungssuchenden auf der Wiese tat er so, als fühle er sich in seiner Wochenendruhe gestört. Doch in Wirklichkeit interessierte es ihn brennend, wer anrief. Es war Marusso aus Bozen, wie er bereits an der angezeigten Nummer auf dem Display erkannte.
Der Ermittler machte ein paar schnelle Schritte, um außer Hörweite der Ausflügler zu sein, und meldete sich.
»Das wird Sie interessieren«, kam der Bozner Staatsanwalt gleich zur Sache. »Wir haben die Werkstatt durchsucht – von der Sie uns die Handynummer gegeben haben.«
Häberle kapierte sofort. Gemeint war die Nummer, die ihnen der Besitzer der alten Mühle gegeben hatte – als Kontaktmöglichkeit zum unbekannten Mieter der Lagerräume.
»Und Spannendes gefunden?«
»Niemand mehr da. Leer geräumt. Aber wir haben mit dem Besitzer gesprochen. Er hat uns ein paar Namen genannt – und die sind uns bekannt.«
»Mafiosi?«, entfuhr es Häberle, doch tat ihm diese Bemerkung sofort wieder leid. Er wollte nicht den Anschein erwecken, als sei man in Deutschland der Meinung, jegliche Kriminalität gehe in Italien von der Mafia aus.
»Wenn Sie so wollen, ja«, bestätigte Marusso so ernst er nur konnte – und zum Erstaunen Häberles.
»Die Mafia?«, fragte Häberle so laut zurück, dass es der vorbeizischende Läufer hätte hören können.
»Die Spielautomatenmafia, wenn Sie so wollen, Herr Häberle.«
Frau Schittenhelm sah ganz anders aus, als Linkohr vermutet hatte. Wieder einmal hatte er sich viel zu sehr von der Stimme und ihrem Tonfall leiten lassen. Frau Schittenhelm erwies sich als eine Mittvierzigerin, adrett und mit einem strahlenden Lächeln. Der junge Kriminalist war für einen Moment überrascht, als er sie – wie zuvor per Handy vereinbart – in der Ulmer Gerichtsmedizin traf. Er erklärte, dass er ihr den Anblick eines Toten nicht ersparen könne, doch die Frau gab sich distanziert.
»In unserer Branche kommt das vor«, versicherte sie und tat so, als ob sie eine Kollegin Linkohrs wäre. Er führte sie in die Kühlräume, in dem auch er sich regelmäßig unwohl fühlte. Ein Mitarbeiter des Instituts ließ sie einen Blick auf das Gesicht des Toten werfen. Frau Schittenhelm blieb wortlos stehen. Dann wandte sie sich erschüttert und bleich geworden ab. »Ja, er ist es«, sagte sie. »Es ist Herr Friedrich Hocke.«
Draußen in einem Besprechungsraum, wo dicke weiße Vorhänge das Sonnenlicht dämpften, bat Linkohr um ein kurzes Gespräch.
»Sie werden verstehen, dass wir dringend einige Informationen von Ihnen benötigen«, wurde er deutlich, als sie sich an einem ovalen weißen Tisch gegenübersaßen. Der Raum wirkte steril wie ein Operationssaal.
»Ich hab Ihnen bereits gesagt, dass ich nicht sehr viel weiß.«
»Wollen Sie etwas trinken?«
»Danke, nein.« Sie sah den Kriminalisten an. »Wie konnte das passieren?«
Linkohr machte ein ernstes Gesicht. »Wir haben in den vergangenen Tagen einige Spuren verfolgt und auch einige Personen im Visier. Aber vielleicht können Sie uns weiterhelfen.« Er sprach langsam und versuchte, behutsam vorzugehen.
»Sofern ich kann, ja«, sagte Frau Schittenhelm, deren sympathisches Lächeln verschwunden war.
»Haben Sie eine Ahnung, wohin Herr Hocke am Mittwochvormittag fahren wollte?«
Sie überlegte. »Nein, wie ich schon sagte: Die Herren halten ihre Aufträge streng geheim. Herr Hocke – Friedrich Hocke – ist bereits am Dienstag weggefahren. Er wollte spätestens zum Wochenende wieder zurück sein.«
»Die beiden haben keine Familien?«
»Nein, das sind eingefleischte Junggesellen.« Über ihr Gesicht huschte ein schwaches Lächeln. Linkohr überlegte, wie dies zu deuten war.
»Wie wir wissen«, fuhr er fort, »ist Herr Hocke mit einem VW Golf mit italienischem Kennzeichen unterwegs gewesen. Er hatte Fahrzeugschlüssel dabei, die zu einem solchen Auto passten, das in einem Parkhaus abgestellt war – und zwar in Ulm.«
»Tut mir leid, dazu kann ich überhaupt nichts sagen.«
»Und das Mietauto, das er benutzt hat, ist von einer Deutschen namens Sylvia Ringeltaube in Bozen angemietet worden, von einer Frau, die als Adresse eine Ferienwohnung in Lana, dort ganz in der Nähe, angegeben
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