Notizen einer Verlorenen
er mir eine kleine runde Visitenkarte: Alexander Martin Rheine, Atelier, mit einer Mülheimer Adresse und einer Handynummer. Ich nahm sie an, steckte sie in dieselbe Jackentasche, in der noch immer Jens' Abschiedsbrief an mich sein Unwesen trieb.
»Es passiert wohl nicht selten, dass sich einer ihrer Schützlinge umbringt?!«, bemerkte ich Buchheim gegenüber.
Buchheims Mund spitzte sich etwas, während seine Augen scheinbar nach einer passenden Antwort suchten. »Mmh … nun ja … Sie hören von uns, Frau Look.«
Schon lag seine Pranke erneut auf meiner Schulter und dirigierte mich in Richtung Ausgang, an den aufmerksamen Hunden vorbei. Alexander folgte uns und reichte mir noch einmal überschwänglich die Hand. Ich nahm sie, obwohl ich seine Blicke und seine seltsam anziehende Art auf mich inzwischen fast schon unheimlich fand. Es gab keinen Grund, ihm zu vertrauen. Gerade, weil er Manuel so ähnlich war. Tatsächlich aber sehnte ich mich insgeheim fast nach der spannungsgeladenen Handmassage von vorhin. Ich wollte sie stillschweigend genießen und dann nichts wie weg von dort. Stattdessen deutete er einen Handkuss an, der mir die Haare aufstellte, als sein warmer Atem über meine Haut strich.
»Alexander – falls Sie meinen Namen vergessen haben.«
Nein, das hatte ich bestimmt nicht. Sein Lächeln mit vollen Lippen, leicht schräg und ein verschworenes Zwinkern um eine blaue Iris fesselten mich.
Buchheim verdrehte die Augen. Dann griff er in seine Hosentasche und wühlte darin herum, als wäre sie so tief, dass er nichts darin finden könnte. Schließlich ergriff er die Schlüssel, die mich endlich hier raus lassen sollten. Die Rottweiler standen sofort in Position und beäugten jede Bewegung ihres Herrn und von mir.
Dicht folgte mir Buchheim die Treppe hinunter. So dicht, dass ich seinen Körper hinter mir spürte und instinktiv einen Ellenbogen nach hinten drückte, um ihn auf Abstand zu halten. Mit der anderen Hand umklammerte ich das breite Holzgeländer, darauf gefasst, mich aufzufangen, falls er mich hinunterstoßen sollte. Ihn störte meine Abwehrhaltung nicht im Geringsten. Mitten auf der Treppe hielt ich es nicht mehr aus. Ich blieb stehen und blickte ihm aufgebracht ins Gesicht. Augenblicklich knurrte einer der Hunde neben ihm. Ohne eine Miene zu verziehen, glotzte Buchheim auf mich herab. »Was ist?!«
»Ich mag es nicht, wenn man mir so nahe kommt!«
»Ach ja? Der galante Handkuss von Alexander schien Sie aber nicht gestört zu haben.«
Meine Wangen begannen zu glühen.
»Lassen Sie das bitte!«, beharrte ich.
»Kann es sein, dass Sie ein Problem mit mir persönlich haben, junge Frau?«
Ich sagte nichts mehr und eilte weiter zum Ausgang. Nur raus hier! Doch dort musste ich warten, bis Buchheim und seine Tiere mich aufholten. Mit dem Rücken quetschte ich mich an die Wand, um ihnen Platz zu machen. Buchheim grinste – schon das ein Grund, ihm aufs Maul zu hauen, wären die Hunde nicht gewesen. Natürlich hätte ich es nicht wirklich getan, ihm mit der Faust auf die Lippen geschlagen oder ihn in seinen Unterleib getreten, aber meine Gedanken taten es unweigerlich, als er so grinste. Ich hasste meine Unterlegenheit. Mit einem Handgriff, den ich so schnell nicht mitverfolgen konnte, öffnete er die verklemmte Haustür.
»Sie werden in Kürze eine Einladung zur Bestattung und zur Trauerfeier erhalten. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute.«
Er klopfte mir auf den Rücken, während ich vorbeiging. Es brannte noch hundert Meter weiter.
Als ich schon ein paar Schritte auf den Gehweg gesetzt hatte, rief er mir hinterher.
»Frau Look …«
Ich wandte mich um.
»Feuerbestattung!«
Die Begegnung mit diesen Männern aus dem Haus der Verlorenen beschäftigte mich den gesamten Abend über. Mir war schlecht davon. Schlechter, als von dem Gedanken an Jens' schiefes Gesicht im Krankenhaus. Ich wusste nicht, ob der eiskalte Buchheim mit seiner groben Hand auf meiner Schulter und seine Rottweiler mich mehr einschüchterten, als Alexanders überheblicher Charme mich irgendwo bei den Hormonen packte. Sie machten mich ängstlich und wütend zugleich. Der ganze Besuch lag mir wie ein unverdautes Erlebnis im Magen und ich glaubte kaum, schlafen zu können. Mein Kopf pochte. Warum muss mir alles in den Kopf steigen? Ich hatte das Gefühl, als säße darin Jens und trete um sich, weil er nicht da raus konnte. Nichts hätte ich lieber geöffnet, als meinen verdammten Schädel.
Unruhig kramte ich in
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