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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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in meinen Wagen und warf die schwarze Jacke auf den Rücksitz. Zuhause wollte ich alles, was mich an Jens erinnerte, in einen Sack stopfen und in einen Container werfen. Marc sollte alleine sehen, wie er mit seinem Unglück fertig würde. Ich wollte gar nicht mehr wissen, warum Jens gerade auf Marcs Auto gewartet hatte, als es passierte. Vielleicht war es doch nur ein blöder Zufall gewesen.
    Da sah ich Buchheim auf meinen Wagen zuschreiten. Ich versuchte loszufahren, bevor er mich ansprechen konnte, doch so schnell, wie er sich näherte, sprang der alte Wagen gar nicht an. Der Motor quälte und quälte sich, da klopfte Buchheim bereits an die Scheibe der Fahrerseite. Sollte ich ihn einfach ignorieren und wegfahren? Wahrscheinlich! Jeder andere hätte so gehandelt, aber ich ließ die Scheibe herunter.
    »Ich dachte eigentlich, Sie kommen noch mit ins Vereinshaus«, sagte er.
    »Woher kennen Sie Marc Schuch?«
    Meine Frage ließ ihn kurz zögern.
    »Von Jens!«
    »Wieso hat er Ihnen so viel Intimes anvertraut? Er kannte Sie doch kaum.«
    Buchheim lächelte mit dem Mund, ohne dass seine Augen dem folgten. Sie strahlten nichts wider, was sein Lächeln gefühlvoll begleitet hätte. Ein Mensch ohne Liebenswürdigkeit, ohne Güte für mich. Er hätte gesichtslos sein können, das wäre das Gleiche gewesen. Trotzdem folgte ich ihm. Ich weiß nicht warum. Es war, wie in einem Albtraum. Da ist es genauso. Man sieht sich in ein Unglück laufen und kann sich einfach nicht dagegen wehren. Allein der Gedanke, dass Jens diesem Mann mehr vertraut haben könnte als mir, erweckte in mir ein moralisches Pflichtgefühl, mich nicht zu widersetzen.
    Der städtische Friedhof lag nicht allzu weit vom Haus der Verlorenen entfernt. Die schwarzgekleidete Gemeinde trampelte die braun lackierte Holztreppe hoch und breitete sich hinter der Tür im Saal aus. Sie schienen erstaunlich gut gelaunt, fast beschwingt, und ja – ich ließ mich mit der Zeit mittragen von ihrer sonderbaren guten Stimmung. Eine Ablenkung, die ich meinte, brauchen zu können. Warum sich nicht etwas aufheitern lassen und wann lernte man schon einen solchen Haufen angeblich suizidgefährdeter Menschen kennen?
    Die Dekoration im Vereinshaus überwältigte mich. Ein Bild von Jens stand mitten auf einem großen ovalen Tisch, der im hinteren Teil des Saals stand, das Bild umrahmt mit bunten Blumen – maßlos übertrieben! Fast wie ein kitschiger Abklatsch einer Heldenverehrung aus fremden Kulturen. Es sah ganz danach aus, als wäre das Bild erst kurz vor seinem Tod entstanden, denn er war darauf schon so hager, wie in den letzten Tagen seines Lebens. Jens in Nahaufnahme, porträtiert vom Gesicht bis zur mageren Brust, im schwarzen Rollkragenpullover. Er hatte nie Rollkragenpullover getragen. Es war eine schmeichelhafte Aufnahme von ihm, warm und weich gezeichnet, jedoch völlig gestellt. Wer ihn nicht kannte, wusste das nicht. Das war vielleicht deren Jens, aber nicht meiner. Um das verlogene Bild herum standen Gläser mit Champagner.
    Wir tranken auf Jens und ich prostete stumm mir vollkommen fremden Menschen zu und grinste, weil sie grinsten. Das Leben geht weiter, Jens, ob du es so wolltest oder nicht, sogar meines.
    Nachdem wir die ersten Schlucke vergossen hatten, übernahm eine kleine ältere Frau das Wort. Eine wirklich sehr kleine Frau, von der Größe eines siebenjährigen Kindes. Sie zog ihre Schuhe mit erstaunlich hohem Absatz aus, stellte sie unter einen Stuhl und kletterte dann hinauf, um besser gesehen zu werden. Ihre noch vollen grauen Haare reichten als locker gebundener Zopf bis auf ihre Taille hinab. Ein Zopf, der mir allenfalls bis zur Brust gereicht hätte.
    »Meine Lieben«, begann sie mit einer hellen und ein bisschen quäkenden Stimme aus einem viel zu kleinen Kehlkopf, aber nicht unangenehm hoch.
    »Wir sind hier wieder einmal versammelt, um einen Abschied zu feiern. Jens Klein hat …«
    »Achtung! Vergiss nicht unsere Gäste, Franziska!«
    Buchheim warf es eilig ein, dann grüßte er mir überdeutlich zu. Franziska sah vom Stuhl aus auf mich herab. Auch von unten aus betrachtet erschien sie nicht viel größer, egal, auf wie viele Stühle oder Polster sie sich stellen würde.
    »Ach ja … wir sind also zusammengekommen, um ihn zu verabschieden und …« Franziska und Buchheim tauschten einen längeren Blick. »… und zu sagen, dass wir stolz auf ihn sind … und …« Jetzt folgte ein längerer Blickaustausch mit mir, dem ich ratlos folgte. »… und

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