Notizen einer Verlorenen
seiner Nase.
»Ich fahre. Okay?«
So überredete ich ihn. Nur, um nicht alleine im Haus der Verlorenen aufzutauchen. Früher hätte Marc mich niemals mit seinem Wagen fahren lassen. Frauen und Autos – für ihn, wie Frauen in Führungspositionen, eine schlecht funktionierende Zusammenstellung. Ein einziger Tag nur in seinem Leben hatte ihn nun komplett aus seiner selbstgefälligen Welt gerissen. Eine Welt, in der es für mich nie einen Platz gegeben hatte. Ich hatte ja mal etwas mit dem Typen aus der Breslauer Straße gehabt, von dem jeder wusste, wie der drauf war. Marc war ja etwas Besseres …
Ich kann heute nicht behaupten, von der Gefahr, die Marc umgab, nichts bemerkt zu haben. Stattdessen nutzte ich ihn aus. Marcs Leben war mir zu dieser Zeit egal und ich wollte, dass es so war. Ich verschwendete keinerlei Gefühle für seine Seele. Es war mir zu viel, auch noch an andere denken zu müssen. Schließlich hatte auch er mir nie ein Gefühl geschenkt. Selbst, nachdem ich mich bei ihm ausgeheult hatte, damals – nach meinem Rausschmiss bei Manuel und nach dem gemeinsamen Tanz, mit dem er mir Hoffnungen gemacht hatte …
Unnachgiebig schleppte ich Marc mit zur Weberstraße. Die schwere Haustür stand etwas auf, von einem speckigen Lederriemen offen gehalten, und wir schellten gar nicht erst an, sondern liefen direkt die knarrende Treppe hoch zu den Vereinsräumen. Marc trottete wie ein Hund hinter mir her. Wirklich – ich glaube, ich hätte ihm ›Platz‹ zurufen können und er hätte sich auf die Stufen gesetzt. Vor der Vereinstür hielt ich inne. Es war das erste Mal, dass ich nun wieder an Buchheim dachte. Was, wenn Alexander gar nicht hier wäre? Wenn die Rottweiler dahinter lauern würden?
»Sollen wir umkehren?« Marc schien mein Zögern zu bemerken.
»Blödsinn!«
Trotzig stieß ich die Tür auf, gefasst auf den Angriff keifender Hunde, im Gegensatz zu dem dämlichen Menschenhund hinter mir. Zu meiner Überraschung aber gab es keine Hunde und die Anwesenden im Raum nahmen kaum Notiz von uns. Es waren höchstens zehn. Sie saßen entspannt und geschwätzig in unterschiedlichen Sitzecken zusammen. Keine Spur von einem therapeutischen Stuhlkreis, den ich vermutet hatte. Zwei oder drei sahen zu uns herüber, wandten sich aber bald wieder ihren Gesprächspartnern zu.
Von einem der Tische stand Franziska auf. Sie warf ihren grauen Zopf nach hinten und näherte sich uns mit einer zufriedenen und nicht gerade überraschten Miene.
»Wir haben Sie schon erwartet, meine Liebe«, zwinkerte sie mir zu.
»Wie konnten Sie sicher sein, dass ich kommen würde?«
»Ich sagte es ihnen.«
Alexander stand plötzlich vor uns und strahlte mich bestätigt an. Als er meine Hand ergriff und einen Handkuss auf meine Finger platzierte, setzte er die verführerische Aura, die ihn für mich umgab, fast aufs Spiel. Es war nicht der passende Augenblick dafür, denn ich fühlte geradezu, wie Marc hinter mir grinste.
»Wie ich euch sagte – sie kommt und sie denkt wie wir!« Alexander freute sich derart, dass er vergaß, meine Hand loszulassen, während er sich an Franziska wandte. »Ich meine, wir sollten sie aufnehmen. Schließlich war sie die beste Freundin von Jens, Teil seines Plans und Zeugin seines Todes und sicher hat Jens über vieles mit ihr gesprochen.«
Er fixierte mich voller Erwartung.
»Nicht wahr?«
»Nun mal ganz langsam, Alexander«, beruhigte Franziska ihn und schob ihn zur Seite, indem sie gegen seine Hüfte stieß. »Kommen Sie erst einmal herein und legen Sie Ihre Jacken ab.«
Marc und ich folgten ihr und wir hingen unsere Jacken an eine massive Holzgarderobe, die in einem dunklen kleinen Nebenraum versteckt stand. Ich hatte mich schon die letzten beiden Male gefragt, was sich in diesen uneinsehbaren Nebenräumen verstecken mochte. Auch hinter diesem Garderobenraum ging es noch weiter, aber ich konnte aufgrund der schwach leuchtenden Lichtquellen von hier aus nichts erkennen.
Gerade, als ich noch in meiner Jackentasche nach Marcs Autoschlüssel kramte, den ich an mich nehmen wollte, packte mich etwas am Unterarm! Es schnappte zwischen den Kleidungsstücken hindurch und umschlang mich wie ein Schraubstock. Ich schrie auf. Der Versuch meinen Arm zu entreißen, scheiterte an der immer fester werdenden Umklammerung, je mehr ich zog. Das Gewicht an meinem Arm zwang mich in eine gekrümmte Haltung. Es dauerte eine Weile, bis ich die schmerzhafte Zange als einen der verdammten Hunde wahrnahm. Unter mir
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