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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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musste mit Alexander ja nicht genauso geschehen! Allein mein Besuch im Haus der Verlorenen begründete auch noch lange kein beginnendes Verhältnis. Ich entschied mich für einen Kompromiss, wie ich meinte, und plante Marc mitzunehmen, um unbefangener zu wirken und mich davor zu schützen, Alexanders Nähe augenblicklich zu verfallen.

Marc und ich

    Doch Marc, der erst zusagte, hätte mich fast im Stich gelassen. Ich wollte ihn abholen am Sonntag und hatte mir ausgemalt, gemeinsam mit ihm in seinem Wagen zu fahren. Marc stand zwischen Tür und Angel seiner Wohnung, als ich kam, und nuschelte: »Ach, du!?«
    »Wen hast du denn erwartet?«, entgegnete ich und bemerkte sehr wohl den enttäuschten Tonfall in seinem ›Du‹ .
    Wir mochten uns nicht. Aber Jens' Tod band uns nun aneinander und machte uns zu unfreiwilligen Verbündeten. Nicht, dass wir darüber gesprochen hätten. Nein, wir sprachen nie darüber. Marc und mich schweißte der Tod unseres Freundes mit einem strangulierenden Band aus Schuld und Einsamkeit zusammen, ohne, dass wir uns gegenseitig zu trösten vermochten. Wir waren nichts, als eine Zwangsgemeinschaft, die von der Hoffnung lebte, dass eine andere echte Freundschaft sie ablöste.
    Marc bemühte sich um Höflichkeit.
    »Kaffee?«
    »Danke, ich wollte dich abholen.«
    Er ließ mich in die Wohnung und ich stieg über einen Berg ungewaschener Wäsche in der Diele. Im Wohnzimmer quoll der Couchtisch über von Zeitschriften, Pizzakartons und Gläsern. Zwei leere Tablettenschachteln versanken dazwischen im übrigen Müll.
    »Hattest du eine Feier gestern oder hat deine Putzfrau gekündigt?«
    Marcs Kleidung sah zerknautscht aus und das schmutzige Hemd hing halbseitig aus der Hose. Keine Spur von dem korrekten Anzugträger von damals. Gleichgültig lehnte er mit seinem Hintern am Schreibtisch und schenkte meinem verwunderten Blick durch das Wohnzimmer keine Beachtung.
    »Wozu wolltest du mich abholen?«
    Ja, wozu eigentlich? Fast dachte ich inzwischen das Gleiche, als er so desinteressiert dastand. Wieso wollte ich Marc mitnehmen? Wie sollte er mich vor meinen eigenen Hormonen schützen? Unser Band, das hielt nur für die eine Sache – für die Katastrophe, die Jens über uns ausgelöst hatte.
    »Du wolltest mich zu diesem Selbsthilfeverein begleiten.«
    »Was soll ich da?«
    »Hast du dich nicht auf Jens' Beerdigung so angeregt mit dieser netten kleinen Frau unterhalten? Franziska, hieß sie, glaube ich … ach, komm schon, du hast es mir versprochen!«
    Marc zeigte sich wenig begeistert. Ich sah meine Chancen immer mehr schwinden und fast war ich so weit, dass ich es hinnahm.
    »Auf welchen Besuch wolltest du sonst warten? Auf deine sogenannten Freunde, die sich – lass mich raten – seit Jens' Tod nicht mehr blicken lassen?«
    Er rümpfte die Nase.
    »Außerdem bist du es Jens schuldig!« Mein letzter Trumpf. Ich biss mir auf die Lippen. Das war gemein von mir, aber ich nahm es in Kauf. Doch ich wollte unbedingt, dass er mitkommt, schon aus Trotz. Vielleicht auch, weil ich es ihm insgeheim nicht gönnte, dass er sich geistig davonstahl, während ich mich aus der ganzen Geschichte nicht mehr herauswinden konnte. Augenblicklich schossen Tränen in seine Augen und ich senkte kurz meine Lider. »Also komm jetzt. Am besten nehmen wir deinen Wagen«, drängte ich leise.
    Geradezu entsetzt starrte er mich an. »Was?! Soll ich etwa fahren?«
    »Ich werde jetzt nicht zurücklaufen, um meinen eigenen Wagen zu holen.«
    »Ich weiß nicht. Lass uns lieber frische Luft schnappen.«
    »Marc, dafür bleibt keine Zeit mehr. Wir müssen los.«
    Meine Überrumpelungstaktik hatte nur mäßigen Erfolg. Er blieb unentschlossen zurück, als ich mir einfach seine Autoschlüssel vom Brett neben der Tür nahm und dort ungeduldig mit dem Fuß wippte.
    »Nun komm schon!«
    Marc sah an mir vorbei. »Es tut mir leid. Ich kann einfach nicht. Seit dem Tag bin ich nicht mehr gefahren … ich habe einfach … Angst.«
    Nervös fingerte er mit den Händen im Haar herum. Das Wort ›Angst‹ aus seinem Mund und vor allem über sich selbst zu hören, erschrak mich. War er nicht der Mann, der sich über Jens lustig gemacht hatte, der Ängste, Neurosen und Psychosen für etwas Lächerliches hielt und der Menschen wie Jens verhöhnte? Jetzt stand er da und fingerte sich nervös im Haar herum. Von dem, ach so unerschütterlichen Marc, den ich kannte, war nichts mehr übrig.
    Um ihn abzulenken, klimperte ich mit dem Autoschlüssel vor

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