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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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Ambiente meines alten Eiscafés und ganz allmählich kroch die Erinnerung an Manuels Krokanteis in die Atmosphäre hinein.
    »Wie alt sind Sie eigentlich?«, fragte ich.
    »Warum so förmlich? Sollten wir nicht du sagen?«
    »Von mir aus. Also – wie alt bist du?«
    »Spielt es eine Rolle für dich?«
    »Unter Umständen, ja!«
    Alexander schmunzelte und nahm einen Schluck aus dem Strohhalm. »Unter welchen Umständen?«
    Ich schwieg. Sollte ich sagen, dass ich damit rechnete, wir könnten eine Beziehung eingehen? Nachdem wir uns jetzt dreimal getroffen hatten? Nur weil er mich angeblich hinreißend fand und ich meine Hormone nicht in den Griff bekam? Das konnte ich nicht zugeben! Wer sagte denn auch, dass er ebenso dachte? Es war eher wahrscheinlich, dass er mit mir spielte.
    »Was machst du eigentlich genau in diesem Verein? Ich meine, es ist ein Selbsthilfeverein für …« Es war mir zu peinlich, direkt zu fragen, ob er sich umbringen wollte. »… bist du dort nur Betreuer oder Patient?«
    »Ich bin dort Mitglied. Patienten gibt es bei uns nicht und wir brauchen auch keine Betreuung – wir sind eine Selbsthilfegruppe.«
    »Aber wäre das nicht angebracht?«
    »Klingt, als hieltest du uns für Spinner, die man beaufsichtigen muss.«
    »So habe ich das nicht gemeint. Ich habe nur darüber nachgedacht, was mit Jens geschehen ist und ich frage mich …«
    Warum machte ich mir Gedanken, mir könnte das Gleiche noch einmal passieren, wie mit Jens? Dass ich hier zusammen mit Alexander im Eiscafé saß, rechtfertigte nicht im Mindesten den Gedanken an eine Beziehung mit ihm.
    Er schlürfte den Rest seines Lumumbas.
    »Ich habe letzten Sonntag im Haus auf dich gewartet, Sarah. Warum bist du nicht gekommen?«
    Verdutzt fühlte ich mich fast gezwungen, mich zu entschuldigen.
    »Weißt du was?«, fuhr er fort. »Am nächsten Sonntag hole ich dich ab. Wir brauchen Leute wie dich. Es gibt so Wenige, die unsere Philosophie verstehen. Du bist nicht wie die anderen, das habe ich gleich gemerkt.«
    Ich war also nicht wie die anderen, soso. Höhnisch lachte ich auf. Er ignorierte es. Nicht wie die anderen! Ich horchte in mein Innerstes. Nicht einmal diese billige Bemerkung schreckte mich wirklich ab, ihn attraktiv zu finden.
    »Ihr habt eine Philosophie?«
    »Ja – und ich habe das Gefühl, dass wir beide uns intellektuell bereichern könnten.«
    Sein Gefühl schmeichelte mir, so, als hätte mir ein berühmter Denker unserer Zeit ein Kompliment über meine Intelligenz gemacht. Dabei wusste ich nicht einmal, welche ausgewählte Lebensanschauung ich angeblich mit ihm teilen sollte.
    »Ich kann es mir ja mal überlegen. Obwohl mich ein Besuch bei euch an Jens erinnern würde und ich eigentlich nicht mehr an ihn denken wollte.«
    Alexander schaute mich verständnislos an.
    »Warum willst du Jens vergessen?«
    »Er bereitet mir Albträume.«
    »So, Albträume? Hättest du denn einen Grund dafür?«
    »Natürlich habe ich einen Grund für diese Träume!« Ich regte mich auf. »Es gibt immer einen Grund dafür. Verlustgefühl zum Beispiel oder die Erinnerung an sein entstelltes Gesicht. Du hast nicht vor seiner Leiche gestanden! Hast du schon mal einen Menschen gesehen, dessen Gesicht so schief aussieht, als hätte ihn ein Elefant getreten? So etwas verfolgt einen im Schlaf!«
    Oder das Gefühl, ihn nicht gehalten zu haben , dachte ich.
    Er sagte nichts dazu und lächelte undurchsichtig. War das nun Verlegenheit oder völlig unpassender Hohn? Wir schwiegen ab da an, obwohl ich Alexander so viel über ihn selbst und sein Atelier fragen wollte. Ich beobachtete ihn über meine Tasse hinweg und überlegte, was er jetzt wohl dachte. War ich ein Experiment für ihn, weil ich Jens' Freundin gewesen war, die er hoffte, ins Bett zu kriegen? Ich meine, was sollte er schon so Hinreißendes an mir gefunden haben, dass er mir vor dem Haus meiner Eltern auflauerte? Was genau wollte er von mir?
    »Kommst du nun am Sonntag?«, wollte er schließlich wissen.
    »Vielleicht!«
    Auf seinem Gesicht zeigte sich dieses überheblich Nachsichtige, das mich so verunsichern konnte und mich zu dem machte, was ich stets geblieben bin – zu einem unreifen Menschen, zu einem Kind, das man lenken muss.
    »Hast du je Heidegger gelesen?«, fragte er plötzlich.
    »Das ist schon eine Weile her«, gestand ich und versuchte, mich auf ein tiefgründigeres Gespräch einzustellen, als ich zu führen bereit war.
    »Für ihn waren Sterben und Tod die Verwirklichung des

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