Notizen einer Verlorenen
nicht, was du dir unter Migräne vorstellst. Hier geht es um Attacken, während derer man seinen Kopf gegen die Wand schlagen möchte.«
Er sah irgendwie erwartungsvoll aus, fragte aber nicht weiter nach.
»Mit so etwas kann man genauso hierher gelangen, wie Jens mit seiner Depression«, erklärte ich.
»Um was zu tun?« Er wartete.
»Na was? Suizid! Ihr seid doch so eine Art Suizidhelfer, oder?«
»Ich wusste es doch! Die kleine Sarah weiß ganz genau, worum es hier geht.«
Larissa, Franziska und vier weitere Mitglieder, kaum ein paar Meter von uns entfernt, horchten erneut auf und schlenderten jetzt neugierig zu uns herüber.
»Sie weiß, worum es uns geht?« Franziska wirkte besorgt.
»Sag es doch!«, drängte Alex. Er stieß mich an.
»Suizid?«, sagte ich.
Sie blickten einander wortlos an. Ich wollte es Alex ja gerne recht machen mit meinen Antworten, doch im Grunde wusste ich ja nichts weiter von ihnen, als das, was sie mir selbst erzählt hatten. Ich hatte auch nicht Suizidhelfer gemeint, sondern Helfer für Suizidgefährdete .
»Und sie kann uns durchaus verstehen, nicht wahr? Erzähl ihnen von deiner Migräne!«
»Was soll ich denn da erzählen?«
Es war mir peinlich, dass sie mich jetzt alle anstarrten.
»Vielleicht den Vergleich mit den geplatzten Köpfen?«, forderte Alex mich auf und er grinste Franziska triumphierend an.
»Naja, das kann man eigentlich nur verstehen, wenn man es selbst erlebt hat. An manchen Tagen denke ich durchaus, ich halte die Qual in diesem Leben nicht mehr aus!«
Leider gesellte sich nun auch Buchheim zu uns, wahrscheinlich angelockt von der kleinen Traube von Neugierigen um mich herum.
»Jens hat doch mit ihr gesprochen«, Alex legte seine Hand auf meine Schulter. »nicht wahr?«
Ich geriet immer mehr in Bedrängnis. Alle, einschließlich Buchheim und Marc, forderten nun stumm eine Antwort auf Alexanders Behauptung. Was sollte Jens mir schon anvertraut haben? War es nur eine Prüfung herauszufinden, ob ich überhaupt etwas wusste? Ich hatte nicht die geringste Ahnung. Alexander aber sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen und zusammengepressten Lippen so zuversichtlich an, dass ich endgültig das Gefühl bekam, meine heimliche Liebe nicht enttäuschen zu dürfen. Aus irgendeinem Grund wollte er mich unbedingt im Haus der Verlorenen sehen. Den Pullover der Verlorenen trug ich ja schon. Besonders aber Marcs ablehnende Haltung hinter dem Tresen provozierte mich, weiter mitzuspielen. Es wäre auch die Gelegenheit gewesen, mehr über Jens' Leben kurz vor seinem Tod zu erfahren und vor allem sehr viel mehr über Alexander. Und ja, verdammt noch mal, ich wollte gerne dazugehören!
Im Grunde war es nur ein kleines gelogenes Zugeständnis, das ich aussprach, ohne mir die Konsequenzen auszumalen.
»Ja stimmt, Jens hat mir vor seinem Tod so manches über das Haus der Verlorenen anvertraut, was niemand sonst erfahren sollte.«
Mehr sagte ich gar nicht. Welchen Umfang mein Wissen hatte, malten sie sich doch selbst aus, und dass es derartig gefährlich für sie sein könnte, um mich der Vorsicht halber für immer an sie zu binden, konnte ich mir wiederum nicht vorstellen.
Buchheim versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, doch seine Anspannung konnte er nicht verleugnen. Es gefiel mir, zu sehen, wie seine Stirn mit den Geheimratsecken zu schwitzen begann. Gleichzeitig beunruhigte mich sein Schwitzen, weil ich das Geheimnis fürchtete, das sich hinter dieser glänzenden Stirn verbarg.
»Was genau hat er Ihnen denn nun anvertraut? Kommen Sie mal zur Sache!« Buchheim wurde ungeduldig.
Ich hoffte, dass die Röte meiner Haut mich nicht verraten würde.
»Nun ja …« Es sollte geheimnisvoll wissend klingen. »… er redete mit mir über … seinen Plan.«
Marc horchte auf. Er glaubte mir nicht, ich sah es sofort.
»Wann soll er dir das denn erzählt haben? Du bist doch auf seinen Plan genauso hereingefallen, wie ich.«
»Ich sprach ihn im Krankenhaus – bevor er starb.«
Ich wusste genau, dass Marc ihn nicht vor mir im Krankenhaus besucht hatte.
Er schüttelte ungläubig den Kopf.
»Ich hatte bisher nicht den Eindruck, dass du mehr vom Haus der Verlorenen wusstest als ich.«
Marc ließ nicht locker. Ich versuchte, meine Begründung so allgemein wie möglich zu halten. Noch mit genügend Andeutungen, dass ich etwas wissen könnte, aber auch nicht zu viel, um mich nicht in Lügen zu verstricken.
»Ehrlich gesagt, war ich auch nicht sicher, ob ich das glauben konnte,
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