Notizen einer Verlorenen
was Jens mir da erzählte. Es glich eher einer Beichte. Wovon ich rede, wisst ihr hier doch ganz genau!«
Wenn Buchheim jetzt nach dem genauen Wortlaut von Jens' angeblicher Beichte gefragt hätte, wäre ich entlarvt gewesen, denn im Lügen war ich noch nie gut gewesen. Doch er stellte eine andere Frage. »Und wie stehen Sie zu den Zielen unseres Vereins?«
Nun war ich ungewollt doch gefangen in einem Lügenkonstrukt.
»Ich …« Was sollte ich sagen? Ich kannte ihre Ziele nicht. »… ich finde sie gut.«
Alexander legte vereinnahmend seinen Arm um mich. Ich sah zu ihm hoch und fand ihn erfreut in die übrigen Gesichter lachen.
»Ich sage doch die ganze Zeit: Sie denkt wie wir! Ist es nicht so?«
Leise räusperte ich mich. »Ja, schon.«
Ich schaffte es nicht, mich da herauszuwinden. Scheinbar reichten ja meine Anspielungen aus, alles in ihnen zu vermuten. Fast hätte ich mir gewünscht, sie hätten mich doch enttarnt und dem Ganzen ein schnelles Ende gemacht.
»Nun, Frau Look …« Buchheim holte tief Luft. Seine Stirn glänzte noch immer. »Alexander und ich hätten Sie nicht eingeladen, wenn wir nicht etwas in der Richtung erwartet hätten. In diesem Sinne ist es sicher das Beste, Sie als Mitglied in unsere Gemeinschaft aufzunehmen, damit Sie in die Rechte, aber vor allem auch in die Pflichten des Hauses eingeweiht werden. Wir werden den heutigen Abend dazu nutzen, mit den anderen Mitgliedern Ihren Fall zu diskutieren. Dazu können wir Sie jedoch leider nicht einladen, wie Sie sicher verstehen werden.«
Ich verstand nicht wirklich, fügte mich aber allem, was sie meinten und war nur froh, meine Ruhe zu haben. Alexander drückte mich mehr als zufrieden an sich, was ich leider nicht so genießen konnte, wie ich es unter anderen Umständen getan hätte. Im Grunde fühlte ich mich wie seine Marionette.
Er brachte mich mit seinem Wagen nach Hause.
»Du wirst sehen, wir werden eine gute Zeit miteinander verbringen«, schwärmte er. »Und du wirst sehr interessante Leute und Schicksale kennenlernen. Aber das kannst du dir ja denken, nicht wahr? Jens hat dir ja alles gebeichtet.«
Er sagte das mit einer seltsamen Betonung. Glaubte er mir etwa nicht? Warum hatte er mich dann so bedrängt, es zu sagen?
Zum Abschied tat er das, wonach ich mich gesehnt hatte. Er küsste meine Lippen, weich, warm … und kurz. Es war mehr der Hauch eines Kusses, aber es war ein Kuss, der meine letzten Bedenken dahin schmelzen ließ. Alleine das, fand ich, war meine Lüge wert.
Lebenslänglich
Die Nachricht über die Bewilli gung meiner Aufnahme in das Haus der Verlorenen kam nicht von Alexander, sondern über Marc und erschreckte mich fast. Sie wollten mich also tatsächlich in ihren Verein für selbstmordgefährdete Menschen aufnehmen! Naja, irgendwie könnte ich mich da schon nützlich machen , beruhigte ich mich selbst und irgendwie gehörte ich wohl dahin. Den Gedanken an ein unheilvolles Geheimnis verdrängte ich.
Am Tag der offiziellen Aufnahme war ich nervös. Ich stand zuhause vor dem Spiegel und probierte verschiedene Kleidungsstücke, die dem Anlass angemessen sein sollten. Am Unpassendsten fand ich jedoch meinen verräterisch verlogenen Gesichtsausdruck. Das musste ihnen doch auffallen! Es war wieder einmal ein Moment, in dem ich am liebsten aus meinem Leben weggelaufen wäre.
Die komplette Gemeinschaft hatte sich um diesen großen ovalen Tisch versammelt und Buchheim begrüßte mich mit einem festen Handschlag, der mich in Versuchung brachte, mir die Hand an der Hose abzuwischen.
»Sie sind also ganz sicher, dass Sie Ihr Leben beenden wollen?«
Obwohl ich nicht verstand, warum jemand einem Selbsthilfeverein beitreten sollte, wenn er ganz sicher ist, sein Leben beenden zu wollen, antwortete ich fest: »Ja!«
»Wir sind eine kleine Vereinigung und aus Gründen unserer Sicherheit wählen wir unsere Mitglieder sehr genau aus.« Buchheim ließ eine wirkungsvolle Strenge über meine Person gleiten und ich spürte, wie sich die Haare an meinen Armen aufstellten. »Dass wir mehr sind, als eine Selbsthilfegruppe oder ein gewöhnlicher Sterbeverein, brauche ich Ihnen ja nicht zu erklären.«
Er wandte sich mit seiner Rede an alle anderen, die um den Tisch herum saßen. Einige von ihnen schienen bei seinen Worten in Gedanken zu versinken.
»Wir alle hier sind uns einig. Jedem Menschen steht das Recht zu, über den eigenen Tod selbst zu bestimmen – sowohl über den Zeitpunkt des Todes, als auch über die Art, wie es
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