Notizen einer Verlorenen
noch mehr Gegenworte von mir zu kontern.
Damals kam er mir wie ein Verräter vor, der mich wie ein Opfer zurückließ. Heute weiß ich, dass ich ihn besser hätte bedauern sollen, denn ab da an, war Marc das, was ich auch längst war – verloren!
Plötzlich tauchte Alexander wieder auf, der zuvor in den hinteren Räumen verschwunden war, vermutlich um mit Buchheim zu sprechen. Ich hatte schon die letzten beiden Male verstimmt bemerkt, dass die beiden sich prächtig unterhielten. Weil ich meine Abneigung gegen Buchheim nicht ablegen konnte, war ich nicht auf die Idee gekommen, Alex zu begleiten, als er dort hinten verschwand. Außerdem lauerten in diesen Räumen die Hunde. Man hörte sie zwar kaum, doch ab und zu tauchte einer der beiden hier vorne auf und ließ sich von Franziska tätscheln. In meiner Angst, sie könnten mich in die Waden beißen, gab ich mein Bestes, möglichst unsichtbar für die Köter zu bleiben.
»Gib mir mal einen Amaretto«, verlangte Alex von Marc, der sofort in den Kühlschrank griff.
Alex lehnte sich gut gelaunt an die Bar. Er trank schon wieder mitten am Tag! Es ging mich nichts an, doch es störte mich trotzdem, als wäre ich jemand, die mit ihm zusammenlebte. Ich fragte mich, was er mit Buchheim wieder so Geheimnisvolles besprochen hatte. Auch mit Larissa und Kevin hatte er die Köpfe zusammengesteckt, ohne mich einzubeziehen.
Warum, um alles in der Welt, sollte ich unbedingt mit ihm hierher kommen, wenn er sich dann nicht um mich kümmerte?
Er trank seinen Amaretto in einem Zug aus. Danach schwang er sich erst auf den Barhocker und dann über den Tresen, stellte sich hinter die Bar und baute eine Reihe von leeren Weingläsern darauf auf. Der Reihe nach befüllte er sie mit unterschiedlichen Weinständen und nahm mit zusammengekniffenen Augen Maß. Das tat er mit herausgedrückter Zungenspitze, wie ein kleiner Junge, der hoch konzentriert mit Bauklötzen spielt. Aus einer Schublade kramte er chinesische Holzstäbchen hervor und stellte sich auf wie ein Dirigent. Wichtig fuchtelte er mit Händen und Stäbchen in der Luft herum. Ein Bild für die Götter – sämtliche Anwesenden sahen zu ihm hinüber und selbst ich musste lachen, als er seinen Kopf nach hinten neigte und mit dem Stäbchen dreimal auf den Tresen klopfte. Einen Augenblick später flogen die Stäbe erstaunlich geschickt über die Gläser und zauberten uns ein klangvolles Glockenspiel. Ich beobachtete sein Gesicht, wie sich Mund und Augen verspielt zu den Klängen bewegten. Dabei strahlte er eine Freude aus, die jeden anstecken musste. Sogar Larissa, dieses ernste Mädchen, konnte er zu einem herzlichen Lachen mitreißen und sie klatschte nach seiner Darbietung mit uns allen lauten Beifall.
Alex verneigte sich tief.
»Komm, Sarah«, er winkte mir zu. »hilf uns, die Gläser zu leeren!«
Marc verzog den Mund. »Ach, die trinkt doch eh nichts!«
Marcs Bemerkung ärgerte mich. Tatsächlich trank ich so gut wie nie Alkohol, schon wegen der Gefahr einer Migräneattacke, aber so wie er es sagte, als wäre ich die bürgerlichste aller Frauen in dieser Stadt, wollte ich es nicht auf mir sitzen lassen. Aufsässig griff ich nach einem der weniger gut gefüllten Gläser und prostete Alex zu. Der stieß so heftig an, dass mein Wein überschwappte und ich fast meinte, unsere Gläser würden zerbersten.
Ich nippte mein Glas leer, während Alex mit dem Finger auf ein paar Leute zeigte. »Sieh mal, unser Kevin!«
Kevin hockte mit zwei jungen Männern zusammen und studierte ein großes Blatt Papier.
»Sie schmieden heimlich Pläne«, zwinkerte Alex mir zu.
»Was denn für Pläne?«
»Ach komm schon, tue doch nicht so!« Er stieß mich kumpelhaft mit dem Ellenbogen an. Dann rief er quer durch den Saal: »Nein, wirklich edel sind hier nicht alle im Verein. Es hat schon Leute gegeben, die anderen die Ideen geklaut haben!«
Augenblicklich fixierten uns sämtliche Augenpaare. Diesmal nicht sonderlich wohlwollend.
»Na, Alex! Was soll denn das heißen?«, mahnte Franziska, die ganz in der Nähe stand und offensichtlich auf Harmonie bedacht war.
»Aber sonst«, vertraute Alex mir an, »sind wir ein ganz normaler Haufen von Spinnern.«
»Ich dachte, Spinner dürfte ich nicht einmal denken?«, bemerkte ich nicht ohne Unterton.
»Als du meine Gemälde gesehen hast, was hast du da gedacht?«
»Jedenfalls nicht Spinner! In den geplatzten Köpfen fand ich mich durchaus wieder.«
»Dich? Interessant! Die Migräne?«
»Ich weiß
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