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Notizen einer Verlorenen

Notizen einer Verlorenen

Titel: Notizen einer Verlorenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heike Vullriede
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er gerne gehört hätte. Einige beschäftigten sich mit mitgebrachten Unterlagen, andere diskutierten flüsternd miteinander. Neben mir saß Larissa, daneben Alexander. Ich bedauerte, dass Alex nicht an meiner Seite saß. Er machte sich rar in meinem Leben, anders, als ich es mir erhofft hatte, als ich in diesen Verein eintrat. Mir war, als entfernte sich Alexander desto mehr, je näher ich ihm kam.
    Buchheim erhob die Stimme und erklärte die Sitzung für eröffnet. Seine Autorität sorgte schnell für Ruhe.
    »Es gibt einen offiziellen Tagesordnungspunkt, der zu besprechen ist. Und zwar die unerfreuliche Häufung von Selbstmorden, welche die Öffentlichkeit erregen und auf unseren Verein aufmerksam machen.«
    Er nahm seine Lesebrille ab.
    »Ich spreche es nicht zum ersten Mal an, dass ich sehr besorgt darüber bin. Also noch einmal: Niemand, aber auch wirklich niemand, darf vom eigentlichen Sinn unserer Gemeinschaft erfahren! Die Welt hat kein Verständnis für uns. Wer von unserer Vereinigung erzählt, verrät uns alle und macht sich schuldig.«
    Sein Blick wanderte über unsere Köpfe hinweg und blieb, wie ich bereits befürchtete, lange an mir haften. Ich ertrug seinen Blick nicht und tat so, als suchte ich etwas in meiner Jackentasche. Irgendwann gab er es wohl auf und fuhr fort: »Muss es denn immer so aufsehenerregend sein? Geht es nicht etwas alltäglicher?«
    An dieser Stelle gab es ein erstes unerfreutes Geraune. Alexander meldete sich zu Wort.
    »Jeder von uns hat das Recht auf einen selbst gewählten Tod. Gerade, um ihn selbst zu wählen, sind wir hier Mitglieder geworden.«
    Ich lachte innerlich, weil ich mich darüber freute, dass ausgerechnet Alexander Buchheim widersprach. Offensichtlich war er doch keine bloße Marionette Buchheims, wie ich es zwischenzeitlich befürchtet hatte.
    »Den Tod kann man nicht wählen. Er ist immer derselbe!«, warf jemand von der anderen Tischseite ein.
    »Dann eben das Sterben!« Alexander regte sich sofort auf und sprang vom Stuhl. »Das spielt doch keine Rolle jetzt! Jeder weiß, wie es gemeint ist.«
    Buchheim mahnte zur Ruhe und bedeutete Alex, sich zu setzen, was dieser aber nur zögerlich befolgte. Die braune Farbe seiner Gesichtshaut rötete sich immer mehr.
    »Was du sagst, ist richtig, Alexander, doch wir müssen an den Schutz unserer Gemeinschaft denken. Ihr alle dürft so sterben, wie ihr es für richtig haltet. Aber bitte, bitte, wählt eine Form, die unsere verdeckte Arbeit nicht gefährdet.«
    »Jawohl, wir wollen nicht durch die Sensationslust Einzelner unser Haus der Verlorenen verlieren!« Dieser Zwischenruf sorgte wiederum für Aufregung.
    »All diese Verabschiedungen, die jetzt für Aufregung sorgen, sind doch mit einer großen Mehrheit genehmigt worden«, gab Kevin zu bedenken.
    Nun hatte Buchheim doch große Mühe, die Ordnung wiederherzustellen. Man rief über den Tisch hinweg und sprach durcheinander.
    »Vielleicht sind wir jetzt an einen Punkt angelangt, an dem die unterschiedlichen Grundeinstellungen zu unseren Zielen deutlich werden. Wir müssen ein Auseinanderklaffen unserer Gemeinschaft unbedingt vermeiden. Das gefährdet uns alle.«
    Zu diesen Sätzen von Franziska nickten die meisten wieder zustimmend, sogar Buchheim.
    »Es sollen zwei Leute bestimmt werden, die das Für und Wider unserer Diskussion als Vorlage zur nächsten Sitzung – sagen wir im März – ausarbeiten.«
    Forschend blickte Buchheim auf die Versammlung. Als seine Augen auf meine trafen, murmelte er undeutlich etwas, was ich erst Sekunden später für mich übersetzte und was mir das Blut aus dem Kopf weichen ließ: »Ja – Sie werden dann wohl nicht mehr bei uns sein.«
    Alexander und sein Kontrahent von vorhin meldeten sich freiwillig.
    »In Ordnung – ihr beiden!«, bestimmte Buchheim, völlig losgelöst von meinem entsetzten Gesichtsausdruck, der ihm aufgefallen sein musste. »Für heute soll es genug sein. Bevor wir diese Sitzung schließen – gibt es noch Wortmeldungen zu anderen Dingen?«
    »Ja, ich.«
    Eine unsichere Stimme meldete sich.
    »Ich möchte etwas vorstellen.«
    Alle drehten sich zu dem Wortmelder um. Es war ein schmächtiger Mann, etwa Anfang vierzig den man nie so richtig wahrnahm, weil er selten etwas sagte. Ein Mann, der so unscheinbar unter uns lebte, dass man seine Anwesenheit schon vergaß, obwohl er nebenan auf dem Barhocker sein Bier trank. Das plötzliche Interesse an ihm löste eine sichtbare Verlegenheit bei ihm aus.
    »Bitte, Herr Lenger,

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