Notizen einer Verlorenen
nach einer längeren gemeinsamen Zeit zu verlangen.
»Du brauchst dir keinen eigenen Selbstmordplan auszudenken«, sagte er in meine Gedanken hinein. »Vergiss das mit dem Riesenrad! Ich weiß etwas Besseres für uns beide! Du und ich, wir beide werden es gemeinsam tun.«
Das sollte also unsere gemeinsame Unternehmung sein! Unsere Symbiose und meine eben noch gehegte Hoffnung zerplatzten innerhalb weniger Minuten. Als Alex schon schlief, weinte ich in mein Kissen.
Alexanders Kunstwerk
Das Wetter zeigte sich wechselhaft, doch Kevin und seine beiden jungen Freunde wollten ihre Aktion nicht absagen. Mit einer Ausrüstung, die nur Alibizwecken diente, da sie gar nicht benutzt werden sollte, brachen sie vor uns auf, um den Zeitplan einzuhalten. Sie waren gut gelaunt, als sie in den Wagen einstiegen. Fremde, die ihnen begegneten, hätten nie gedacht, dass sie gleich in den Tod springen wollten.
Als wir nach ihnen losfuhren, dachte ich noch über einen Weg nach, Kevin von seinem Vorhaben abzuhalten. Natürlich war es längst zu spät und ich wunderte mich darüber, warum ich das bislang nie versucht hatte. Ich hatte einfach nie geglaubt, dass es wirklich geschehen könnte. Insgeheim hoffte ich nun auf eine anhaltende Wetterverschlechterung, die einen Start des Flugzeuges unmöglich machen würde. Tatsächlich zog sich der Himmel mit einer dichten Wolkendecke zu. Buchheim fuhr den Wagen, Alex saß auf dem Beifahrersitz. Marc döste neben mir auf dem Rücksitz vor sich hin. Es sah nicht so aus, als dächte er über das Gleiche nach, wie ich. Marc war ganz und gar angekommen in ihrer Welt, wohingegen ich mal hinein und mal wieder heraus schwankte.
Der Weg war weiter, als ich es mir vorgestellt hatte und je länger die Fahrt dauerte, um so mehr verdrängte ich das Ziel unseres Ausfluges. Das inzwischen sehr trübe Wetter und die ewig gleiche Aussicht der Autobahn ermüdeten mich. Erst, als die ersten Regentropfen gegen die Scheiben unseres Fahrzeuges prasselten, wachte ich wieder aus meiner Trägheit auf. Wir fuhren auf der A3 in Richtung Leverkusen.
»Können sie denn bei Regen starten?«
Buchheim sah mich durch den Rückspiegel an.
»Wenn es so bleibt, wird es kein Problem darstellen. Die paar Tropfen werden ihren Start nicht behindern.«
Das klang wenig beruhigend und tatsächlich blieb die Frontscheibe bald trocken, ungeachtet der dunklen Wolken.
Unser Weg führte nicht zum Flugplatz, von dem aus die Drei starten wollten, sondern zu einem Aussichtspunkt, der eine erhebliche Strecke entfernt lag. In einer Landschaft, die sich hügelig in Wellen von Feldern und Wiesen zum Horizont hin ausbreitete. Mit uns reisten noch zwei weitere Fahrzeuge, vollgestopft mit Vereinsmitgliedern, die sich auf das aufregende Ereignis freuten. Vom Aussichtspunkt aus sollten wir die große Show beobachten und bewundern – um uns nicht verdächtig zu machen, weitab von Polizei und Notärzten, die später eintreffen würden. Auf einer recht steilen Erhöhung, direkt angrenzend an ein größeres Waldstück, stand ein altes Haus mit mehreren Nebengebäuden. Vermutlich ein ehemaliger Bauernhof, den wir anfuhren, um dort zu parken. Als wir ausstiegen, erfasste uns ein heftiger Regenguss und wir zogen unsere Jacken über den Kopf. Im Haus war es gemütlich und, entgegen dem äußeren Anschein, schön renoviert, mit Kaminecke und rustikalem Esszimmer. Es kam mir vor, wie eine Bauernkneipe und der niedrige Tisch in der Kaminecke erinnerte mich an das Bild von Jens und Alex, das ich in Alex' Atelier gesehen hatte. Hier also hatten sie zusammengesessen und getrunken. Hier hatten sie sich umarmt und Pläne geschmiedet.
Buchheim holte Gläser aus einem Holzschrank.
»Um genau 15 Uhr werden sie am Himmel auftauchen. Wir werden etwa fünfzehn Minuten vorher nach draußen gehen. Bis dahin sorgt Jochen für unser leibliches Wohl.«
Ich sah auf die Kuckucks-Wanduhr. Sie zeigte noch ungefähr sechzig Minuten Lebenszeit für Kevin und seine Freunde. Marc machte sich am Kamin zu schaffen.
»Sie werden Schwierigkeiten mit dem Wetter haben.«
Er sagte es so belanglos, wie eine nebensächliche Bemerkung über das Wetter allgemein, ohne jedes Anzeichen von Aufregung oder Angst. Ich dagegen wagte es kaum, zu sprechen, weil ein dicker Kloß meinen Rachen belagerte.
Jochen kochte auf die Schnelle etwas in der kleinen Küche. Teller wurden aufgetafelt und dampfende Spaghetti kamen zum Vorschein.
»Jochen«, rief jemand vom Tisch. »Du hast uns ja wohl
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