Notizen einer Verlorenen
»Sicher dachte sie dabei nicht einzig und allein an den Sprung.«
Mir ging auf, dass sie selbstverständlich mehr erwarteten, als Sensationshascherei. Wie hatte Alex zu mir gesagt? Jens' Selbstmord war eine in sich geschlossene Geschichte – eine Komposition! Ein primitiver Sprung aus einem Riesenrad, ohne jeden Bezug zu meinem Leben, war dagegen natürlich nichts als ein angeberisches Spektakel für sie.
»Nein«, antwortete ich Kevin. »Eigentlich habe ich sogar Höhenangst.«
Das war nicht gelogen.
»Die wolltest du überwinden?«
»Offen gesagt weiß ich nicht, ob ich das überhaupt schaffe. Mein besonderes Verhältnis zu Riesenrädern besteht darin, dass ich sie hasse. Vielleicht ziehen sie mich deshalb so an.«
»Lass nur«, sagte Alex. »Du brauchst dich nicht zu verteidigen. Es war schließlich deine erste Idee – möglicherweise sind unsere Erwartungen auch inzwischen zu hoch.«
Meine Gäste gaben sich zufrieden, doch allgemein schienen sie von mir enttäuscht und ich fühlte mich den ganzen Abend über noch mehr wie ein Gast in meinem eigenen Haus. Alexander sprach nach dieser Unterhaltung kaum noch mit mir. Aber vielleicht überbewertete ich das auch.
Alex und ich
Meine Gäste blieben bis in die Nacht. Mich ärgerte ihre Sesshaftigkeit ein wenig, denn je später es wurde, desto mehr sah ich meine Chance schwinden, Alexander vielleicht diese Nacht für mich zu haben, trotz seiner offensichtlichen Enttäuschung über mein Riesenrad. Natürlich hatte ich es mir insgeheim ausgemalt, doch außer den Rosen zur Begrüßung und sein flüsternder Atem an meinem Ohr, als er mir von Jochen erzählte, gab er mir den ganzen Abend über kein weiteres Zeichen. Keine Umarmung, keine zufälligen Berührungen oder lange Blicke. Als die Letzten, bis auf Alex, endlich schwankend gingen, verstaute ich gähnend die Reste der Häppchen im Kühlschrank. Nein, an ein Liebesabenteuer dachte ich nicht mehr zu dieser Uhrzeit.
Trotzdem fiel mir natürlich auf, wie er nun in meiner Wohnung umherging, ab und zu nach mir schielte und auf einmal etwas verlegen wirkte. So kannte ich ihn gar nicht. Kannte ich ihn überhaupt? Die Gelegenheit kam so unverhofft, dass ich mir gar nicht vorstellen konnte, warum er noch immer im Wohnzimmer stand und mich mit großen Augen anblickte.
»Möchtest du hier übernachten?«
Ich bot es ihm an, ohne tatsächlich an etwas anderes als Schlafen zu denken. »Das Sofa im Wohnzimmer kann man ausziehen. Ich kann es dir zurechtmachen.«
»Darf ich die Dusche benutzen?«
Ich nickte.
Während er duschte, räumte ich die letzten Gläser von den Tischen und zog das Schlafsofa aus. Aus den Schränken kramte ich extra Bettwäsche, und erst als ich das Spannbettlaken über das Sofa zog, wurde mir bewusst, was ich tat. Meine Müdigkeit löste sich plötzlich in Luft auf. Unruhig fingerte ich an den Ecken des Lakens herum. Ich hörte das Wasser der Dusche prasseln und roch das Duschgel durch die Tür. Wahrscheinlich hing nicht einmal ein großes Handtuch am Haken, aber ich traute mich nicht mehr in mein eigenes Badezimmer hinein, um ihm eins zu bringen. Der Gedanke an seine Nacktheit machte mich verlegen. Ich war eine erwachsene Frau, aber wenn ich daran dachte, dass er gleich frisch geduscht in dieses Zimmer treten würde, die Haut noch feucht, um seine Lenden nur das knappe Handtuch gebunden, das für mein Gesicht und meine Hände gedacht war, machte es mich mehr als nervös. Bereits am allerersten Tag hätte er mich verführen können. Nicht ein Tag, an dem wir uns begegneten und sich nicht irgendetwas in meinem Bauch zusammenballte.
Auf einmal stand er im Raum. Nicht mit meinem kleinen Handtuch um seine Hüfte, sondern nackt, und mit dem Handtuch frottierte er sich die nassen Haare, die ihm in gelockten Strähnen ins Gesicht fielen. Und ich stand noch immer ungewaschen da! Mit dem Schweiß eines ganzen Tages an mir! Wie knapp doch von einem Moment zum anderen die Luft zum Atmen werden kann. Sekundenlang rührte ich mich nicht, dann huschte ich an ihm vorbei und sah seine glänzenden Augen mir folgen.
Ich duschte rasch. Fröstelnd trat ich aus der Kabine heraus und griff nach einem Handtuch. Da schlang Alex seine Arme von hinten um mich und wärmte mich mit der nackten Haut seines Bauches. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und bereute, dass er so nach Duschgel roch und nur noch so wenig nach sich. Unser Atem ging schnell. Mit starken Armen hob er mich hoch und trug mich auf das Sofa. Unter der
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