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Notluegen

Notluegen

Titel: Notluegen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Swartz
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denkt er. Wie ein Kern, in sein eigenes Fleisch eingebettet, und mit diesem Bild von Mutter und Tochter ist der Mann zufrieden.
    Aber im gleichen Moment dreht das Kind den Kopf. Es ist hellwach und streckt ihm die Zunge heraus: wie eine fleischige, schweinchenrosa Zitze, jämmerlich in ihrer Kleinheit, aber dennoch erinnert sie mehr als alles andere den Mann an die vergangene Nacht zusammen mit dieser Frau in einem Bett ohne Kind.

Es sollte die sichere Überzeugung des Mannes bleiben, dass eine solche Frau sich in das Leben eines anderen einschleicht wie eine Katze oder wie ein Luftzug vom Fußboden her. Im Verlauf des Abends hatte ihm jemand ins Ohr geflüstert, sie sei eine berühmte Schauspielerin, und später an demselben Abend war einer der Musiker (mit einem kleinen, angeketteten Affen auf der linken Schulter) an ihren Tisch gekommen, hatte sich so tief über die Frau gebeugt, dass der Affe sich erschreckt an den pomadisierten Haaren des Musikers festklammerte und dieser mit seiner Geige beinahe ihren Ausschnitt berührt hätte, und mit einem Lächeln, für das der Mann keine anderen Worte fand als blendend weiß, musste sie die Melodie erkannt haben und hatte gleich den Refrain mitgesungen: basvilje kash brigada/ basvilje kash pirvit/ basvilje kash brigada/ o talmerit gershit (oder etwas Ähnliches).
    Schon bevor sie beim Nachtisch angelangt waren, diversen Früchten, eingelegt in Alkohol und Safran, hatte sich der Mann davon überzeugt, dass die Frauen in diesem Land wohlgestaltet waren, mit fülligen, etwas schlaffen weißen Oberarmen und stolz auf eine Weise, die unter gewissen Umständen vermutlich lästig werden könnte. Hände und Augen betonten die Gegenwart dieser Frauen mehr als andere Körperteile, ein Körper, der, obwohl in Stoff gehüllt, mehr offenbarte als was dieser ganze Stoff verbergen sollte. So hatte der Mann die Frauen des Landes schon in sehr alten Büchern abgebildet gesehen, die er studiert hatte, bevor er seine Reise antrat, und auch in diesen Büchern war ihr Stolz besonders erwähnt worden. Und jetzt saß eine dieser Frauen da, an seinem Tisch, nicht länger zwischen den Deckeln eines Buches eingeschlossen.
    Die Musik jaulte und wimmerte. Es erschien dem Mann so, als würden alle Gefühle nackt und ungeniert in dieser Musik exponiert, und er schämte sich; hätten die Musiker sich stattdessen entkleidet und ihre Körper entblößt, er hätte das vorgezogen.
    Aber eigentlich hatte sich diese Frau erst lange nach Mitternacht an diesem Abend in sein Leben eingeschlichen, als sie in seiner Begleitung in einem ganz anderen Teil der Stadt aus einem Taxi gestiegen war; der Mann war um das Taxi herumgegangen und hatte ihr die Tür geöffnet, den Fahrer bezahlt und sich zu der Frau hingewandt, um sich zu erkundigen, wie man in ihrer Sprache »danke« sagte. Gelsambarit (oder etwas Ähnliches), hatte die Frau geantwortet, nachdem sie zuerst den Eindruck gemacht hatte, als ob sie nicht verstünde, was der Mann wollte.
    In diesem Land bedankte sich niemand dafür, dass er bezahlen musste.
    Yallbamkasjto zeredalit pafum (oder etwas Ähnliches), hatte die Frau dann gesagt, worauf der Mann sich entschlossen hatte zu nicken. Da standen sie schon zusammen vor ihrer Haustür, aus gesprungenem Holz und dunkelgrün gestrichen, und der Mann hatte die Worte der Frau als Einladung aufgefasst.
    Im Treppenhaus roch es nach Müll und Kräutern, die der Mann nicht kannte und daher als exotisch in sein Gedächtnis aufnahm, und in der Wohnung der Frau, nicht größer als eine Streichholzschachtel, war der Boden schwarz lackiert und abschüssig, und auf diesem Boden lag ein kleiner Hund, der offenbar ziemlich lange hinter der Tür darauf gewartet hatte, dass die Frau nach Hause kam. Jetzt war die Freude groß. Gediils nuru morje palpinkoval (oder etwas Ähnliches), sagte die Frau, die sich gebückt und den Hund mehrmals hier und da geküsst hatte, auf die feuchte Schnauze oder auf Ohren und Augen, wie es sich ergab, und als sie ihn dann in die Arme nahm, konnte der Mann eine Pfütze auf dem Boden sehen, wo der Hund gelegen hatte. Hockend, mit dem Hund in den Armen, sah die Frau zu dem Mann auf. In dem scharfen gelben, aber trotzdem sehr schwachen elektrischen Licht waren ihre Augen ganz schwarz. Darbilin sholt tok, imfris tjerpasalin, yes? sagte sie.
    Denn die Frau beherrschte außer ihrer eigenen Sprache auch das Englische, was schon früher am Abend ihre Konversation erleichtert hatte, das heißt, sie konnte

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