Notruf 112
die etwas steril wirkenden grünen Fliesen und die »unmoderne Badewanne«. Nichts fand vor seinen strengen Augen Gnade. Und dann setzte er noch einen drauf: »In der Privatklinik, die wir gestern besichtigt haben, war sogar die rote Geburtsbadewanne ein Designerstück. Da könnte man sich hier mal ein Beispiel nehmen. Gibt es hier denn wenigstens Musik?« An diesem Punkt platzte der resoluten Hebamme allerdings der Kragen: »Dann sollten Sie sich jetzt mal entscheiden, was Sie wollen: Carrara-Marmor und große Oper oder unsere Spezialisten, die hier rund um die Uhr für die Sicherheit Ihres Babys und Ihrer Frau sorgen. Auf die können Sie in Ihrer exklusiven Privatklinik nämlich lange warten.« Klasse! Er schnappte empört nach Luft und rauschte wortlos mit seiner Gattin davon.
Dieses ganze pränatale Gequatsche treibt mich wirklich zur Weißglut. Und ich frage mich: Wer kriegt hier eigentlich das Kind? Und woher nehmen die Frauen, die Ärzte und das Pflegepersonal bloß die Geduld mit diesen Klugscheißern?
Ich erinnere mich da beispielsweise an einen Fall, in dem wir gleich nach der Geburt um das Leben eines Neugeborenen kämpfen mussten. Dem Kind ging es sehr schlecht. Der Vater stand die ganze Zeit daneben und sparte nicht mit guten Ratschlägen wie diesem: »Meine Frau und ich möchten keine Medikamente der Schulmedizin. Versuchen Sie es doch lieber mit Homöopathie …« Ich habe wirklich nichts gegen die Homöopathie. Ganz im Gegenteil. Aber in der Notfallmedizin stößt sie nun mal an ihre Grenzen. Der Neugeborenennotarzt hat den Vater dann freundlich, aber bestimmt aus dem Raum begleitet. Der besorgniserregende Zustand seines kleinen Sohnes hat sich kurz darauf stabilisiert und er konnte schon einige Tage später mit seinen glücklichen Eltern die Klinik verlassen.
Manchmal treffen Eltern auch Entscheidungen, die wirklich niemand nachvollziehen kann. Und leider ist das gar nicht so selten. Ich meine zum Beispiel Eltern, die in ihrem verständlichen Wunsch nach der natürlichen Geburt in gewohnter Umgebung unkalkulierbare Risiken eingehen. Bei Hausgeburten in Kombination mit Risikoschwangerschaften wird die Natur nämlich zuweilen derartig herausgefordert, dass es dann wirklich plötzlich um Leben und Tod gehen kann. Ganz gefährlich wird es, wenn solche Notfälle außerhalb der Stadt und fern der Fachkliniken eintreten, die für solch schwierige Fälle gerüstet sind.
Der schlimmste Fall, an den ich mich erinnern kann, ereignete sich vor einigen Jahren etwa 50 Kilometer südlich vor den Toren der Stadt. Ein kleines, mit einfachen Mitteln hergerichtetes Bauernhaus, in dem ein junges Paar seinem Ideal vom ökologisch korrekten Leben frönte. Die Frau erwartete Zwillinge. Eine Risikogeburt. Das hatten die Ärzte ihr unmissverständlich klargemacht. Doch sie schlug alle Ratschläge in den Wind, richtete sich ihr heimeliges Geburtszimmer mit allerhand bunten Tüchern, Kerzen und meditativer Musik her und harrte des Wunders der Geburt. Das ließ dann auch nicht mehr lange auf sich warten. Allerdings weit weniger wunderbar, als sich diese beiden Geburtsromantiker das vorgestellt hatten.
An einem frühen Samstag setzten die Wehen ein. Mehrere Stunden lang quälte sich die Frau unter heftigen Schmerzen. Am Ende hatte sie einfach keine Kraft mehr. Als der Vater sich mittags endlich über den Notruf 112 in der zuständigen Leitstelle in der nächsten Kreisstadt meldete, war es schon fast zu spät.
Als erste Maßnahme schickten die Kollegen zunächst einen Notarzt und zwei Rettungswagenbesatzungen los. Angesichts der dramatischen Situation – schließlich ging es um drei Menschenleben – wurden wir in München um Unterstützung gebeten. Klarer Fall für unseren Neugeborenen-Notarztwagen, der in Begleitung eines Kinderarztes aus dem Deutschen Herzzentrum und einem Intensivinkubator für die Babys losfuhr. In Anbetracht des weiten Weges entschlossen wir uns, die Polizeihubschrauberstaffel um Hilfe zu bitten. Kurz darauf nahm der Polizeihubschrauber unseren Neugeborenennotarzt auf und flog ihn direkt zum Einsatzort. Auch der Rettungshubschrauber »Christoph 1« flog mit einen weiteren Notarzt zum Einsatzort – dicht gefolgt vom Intensivtransporthubschrauber, der auch noch einen Kindernotarzt und den zweiten Intensivinkubator an Bord hatte. Am Ende standen auf der Wiese hinter dem Bauernhäuschen jede Menge Rettungsfahrzeuge und drei (!) Hubschrauber – zwei für die Babys und einer für die stark geschwächte
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