Notruf 112
man da nicht aufpasst, verliert man sehr schnell den Überblick über die noch nicht alarmierten Einsätze und die zahlreichen Krankentransporte. Als nach 20 Minuten der Rechner endlich wieder startete, waren die Kollegen noch lange damit beschäftigt, das Einsatzchaos wieder zu sortieren.
Der glücklose Monteur verschwand schließlich grußlos durch die Hintertür. Es war wohl irgendwie nicht sein Tag gewesen. Wir haben diese Firma jedenfalls nie wieder im Hause gesehen.
Was damals passiert ist, wird sich heutzutage in dieser Form nicht wiederholen. Heute gelangt ganz sicher kein fremder Techniker mehr ohne Begleitung unseres Haustechnikers in den Sicherheitsbereich der Feuerwache 3 – das Herz unserer Leitstelle und damit auch die Achillesferse für die Sicherheit der Stadt. Viel zu groß wäre das Risiko eines Manipulationsversuches oder gar eines Sabotageaktes, der uns noch Tage, Wochen und Monate später die größten Probleme bereiten könnte. Auch die Uhrzeit kommt für Wartungsarbeiten heutzutage überhaupt nicht mehr infrage. Um 9.30 Uhr ist bei uns nämlich Rushhour. Zu dieser Zeit finden bei uns schon lange keine Wartungsarbeiten und auch keine Software-Updates mehr statt, bei denen auch nur die geringste Gefahr besteht, dass unsere Arbeitsabläufe auf irgendeine Art und Weise beeinträchtigt werden könnten. Das Schlimmste, was uns passieren kann, ist, dass uns ein Alarm durch die Lappen geht. Und das riskieren wir unter gar keinen Umständen.
Anno dazumal
Wenn ich mich heute so umschaue in unserer technisch hochgerüsteten Leitstelle, dann frage ich mich, wie die Kollegen das früher eigentlich alles gestemmt haben. Früher – damit meine ich die Zeit, in der es noch keine EDV, keine Computer, keine E-Mails, keine Handyortung, keine elektronischen Stadtpläne gab. Der Raum in der alten Rettungsleitstelle des Bayerischen Roten Kreuzes im Münchner Lehel maß höchstens ein Viertel von unserem heute 300 Quadratmeter großen Technikpalast mit Großleinwand, Klimaanlage und 14 Funkplätzen.
Die Kollegen hockten damals hinter hohen Pulten, keiner sah den anderen.
Notfälle wurden auf einen roten und Krankentransporte auf einen weißen Zettel im DIN-A6-Format geschrieben. Einfach so per Hand. Diese Zettel transportierte dann ein längs durch den Raum laufendes Förderband zum Schichtführer, der in der Mitte des Raumes thronte. Er konnte akustisch erkennen, ob da ein Notfall oder nur ein Krankentransport auf ihn zukam. Das funktionierte nach einem verblüffend einfachen, aber wirksamen mechanischen System. Die Einsteckmappe für die roten Notfallzettel war nämlich etwas höher und berührte im Vorbeifahren einen Schalter, der einen Klingelton auslöste. Nachts wurde das Förderband übrigens stets abgestellt. Kleiner Beitrag zur Energieersparnis, die auch damals schon immer Thema war.
Der Schichtführer verteilte dann die Einsätze an den Funksprecher: Krankentransporte nach links, Notfälle nach rechts. Wiederum natürlich alles per Hand. Wie auch sonst.
Die Funksprecher hatten damals nur eine höchst spartanische Ausstattung zur Verfügung. Ihre Funklisten muss man sich wie eine überdimensionale Schreibtischunterlage in einer Größe von 120 mal 60 Zentimetern zum Aufklappen vorstellen. Auf diesen eng beschriebenen Listen waren dann alle aktuell verfügbaren Fahrzeuge, deren Erreichbarkeiten und Alarmzeiten notiert. Es gab keinen Grafikbildschirm mit hochauflösender Landkarte und keinen Einsatzleitrechner für die Alarmierung. Alles geschah ausschließlich von Hand, indem der Funksprecher eine bestimmte Fünftonfolge auf dem sogenannten Alarmgeber auslöste. Dann meldeten sich die alarmierten Fahrzeugbesatzungen per Funk und holten sich ihren Einsatz ab. Erstaunlicherweise waren die Kolleginnen und Kollegen des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) fast genauso schnell wie wir heute mit unserer hochgezüchteten Technik. Um den Überblick ganz ohne Rechnerunterstützung zu behalten, mussten die Funksprecher wirklich ein unglaublich gutes Gedächtnis haben. Aus heutiger Sicht muss ich sagen: eine grandiose Meisterleistung. Meinen höchsten Respekt!
Als die alte Rettungsleitstelle im Juli 1997 aufgelöst und von der neuen Integrierten Leitstelle München übernommen wurde, wurden alle Mitarbeiter des BRK übernommen – sofern sie das wollten natürlich.
In der Anfangszeit waren Rechnerausfälle mit unserem neuen System ärgerlicherweise an der Tagesordnung. Der Einsatzleitrechner lief eben einfach
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