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Notruf 112

Notruf 112

Titel: Notruf 112 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Seifert , Christian
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mittlerweile war eine Flut von Einsätzen aufgelaufen. Hunderte Menschen saßen in Aufzügen fest. In vielen Fällen halfen die professionellen Aufzugsdienste, Firmentechniker und Hausmeister. In 35 Fällen jedoch wurden Feuerwehr und Notärzte gebraucht. Nicht jeder erträgt die Enge in solch einem an Seilen hängenden Käfig zwischen den Stockwerken – noch dazu, wenn es sich um Hochhäuser handelt. Da geht mit den etwas empfindsameren Gemütern schon mal die Fantasie durch. Die sehen sich im Geiste bereits abstürzen, verschmoren oder ersticken. Die Folgen reichen dann von Hysterie, Panikattacken und Hyperventilation bis hin zu Kreislauf- und Nervenzusammenbrüchen, die dann tatsächlich zu einem ernsthaft bedrohlichen Zustand führen können. Diese Menschen benötigten sofort Hilfe.
    Ebenso wie eine Frau, die an jenem schwarzen Donnerstag Gefangene ihres eigenen Autos geworden war. Das große Tiefgaragentor war auf ihren Kleinwagen hinuntergesaust, als sie genau im Moment des Stromausfalls aus der Garage gefahren war. Dabei hatte sich die Karosserie dermaßen verbogen, dass sie weder Fahrer- noch Beifahrertür öffnen konnte. Nun saß sie in ihrem Auto und weinte: »Ich will hier raus. Bitte kommt schnell.« Keine zehn Minuten später kurbelten die Kollegen das Tor per Hand zurück und befreiten die unverletzt gebliebene Frau.
    Zur gleichen Zeit gingen zahlreiche Alarme von automatischen Brandmeldeanlagen ein. Schon die erste um 7.01 Uhr machte uns größte Sorgen und band zahlreiche Kräfte. Es handelte sich um einen Industriebetrieb, der unter die Störfallverordnung fällt, weil dort große Mengen Alkohol produziert und gelagert werden. Es war ein Fehl­alarm – wie alle anderen acht Alarme auch. Aber das weiß man eben immer erst hinterher. In der Integrierten Leitstelle wurde sogar der Krisenstab per automatischer Telefonalarmierung einberufen, der bereits um 7.45 Uhr handlungsfähig war.
    Als nach etwa einer Stunde die Stromversorgung der Stadt allmählich wieder anlief, ging das Notrufaufkommen deutlich zurück. Immer jedoch bleibt bei diesen Großeinsätzen das blöde Gefühl, ob wirklich jeder Notfallanrufer zu uns durchgekommen ist. Der eine oder andere hat an diesem Tag auf der Notrufnummer 112 wahrscheinlich das Besetztzeichen gehört, weil die Anzahl der ISDN-Leitungen nun mal begrenzt ist. Es ist uns nicht möglich, diese Anrufe später noch einmal nachzuvollziehen. Wer auflegt, findet – hart gesagt – keine Hilfe. Das ist die Realität.
    Obwohl die Stromversorgung schon gegen zehn Uhr vormittags fast komplett wiederhergestellt war, beschäftigte uns dieser Schadensfall noch bis in die Nachmittagsstunden. Unter anderem hatten wir es zum Beispiel mit jeder Menge übellauniger Krankenschwestern zu tun, auf deren Stationen sich die zur Verlegung vorgesehenen Patienten regelrecht stapelten. Denn auch unsere Krankentransportfahrzeuge standen im Megastau und ebenso die Fahrer dazu, die wie Tausende andere an diesem Chaos-Donnerstag viel zu spät an ihren Arbeitsplatz kamen.

Der Kellermann
    Ich frage mich oft, wie es Menschen schaffen, sich ohne Not in die unmöglichsten Situationen zu bringen. Wie zum Beispiel jener Gast aus dem sonnigen Italien, der wie Zehntausende andere Landsleute am sogenannten Italiener-Wochenende, dem mittleren Wiesn-Samstag – traditionell meist der wildeste Tag des ganzen Oktoberfestes –, über den Brenner zum berühmten Münchner Oktoberfest kam. Die meisten finden später mehr oder weniger angeschlagen irgendwie allein den Weg zurück vom Festzelt in Pensionen, Hotels, Zelte oder Wohnwagen. Nicht wenige machen einen unfreiwilligen Zwischenstopp auf den berühmt-berüchtigten Grashügeln hinter den Zelten.
    Unser Freund hier muss nach der Wiesn aber wohl in ziemlich schlechte Gesellschaft geraten sein. Der Notruf, ein Schwall Italienisch im atemberaubenden Tempo aufgeregter Südländer, ergießt sich über mich – durchsetzt von allerhand nicht ganz jugendfreien Flüchen. Einen Teil davon erkenne ich als glühender Südtirol- und Italienfan wieder. »Bastardo!«, »Cretino!«, »Stupido!« und »Vaffanculo« – Letzteres bedeutet, glaube ich, so etwas Ähnliches wie »Leck mich am Arsch!«. Auf irgendjemanden scheint der Italiano eine Granatenwut zu haben. Beinahe hätte ich laut losgelacht, denn wer noch so gewaltig fluchen kann, der schwebt wahrscheinlich nicht in akuter Lebensgefahr.
    Trotzdem müssen wir natürlich schnell herausfinden, warum er den Notruf 112

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